Interview mit Eilert Bartels von Elinor Teil 3

Ein neues und wirksames Konzept für ein gesundes Mannsein

Foto: Videoscreenshot

Eilert Bartels zu Gast bei „Let me introduce…“

von Elinor Petzold über das Buch zum Projekt huMANNoid – Männer sind Menschen

Teil 2 des Interviews von Elinor Petzold mit Eiltert Bartels

Lies auch Teil 1 des Interviews ->

Lies auch Teil 2 des Interviews ->

Lies auch Teil 4 des Interviews ->

Das ist gerade sehr wichtig anzusprechen. Hier sind wir schon bei den Rollenklischees. Allein Yin und Yan in der chinesischen Medizin. Die Frau ist empfangend, der Mann ist eindringend, penetrierend, das Helle und das Dunkle, das Nährende und das Anschaffende, Beschaffende. Und du sagst, das ist alles nicht so oder es ist sowohl als auch? Was ist deine Vorstellung davon? Ich weiß, dieses schöne Symbol, dass du jetzt hoffentlich zeigst… (entfaltet einen Fächer) Wie nimmst du es wahr? Sind diese Eigenschaften gar nicht zuzuordnen?

Schön, dass du die Frage so stellst. Wir reden unheimlich viel von männlichen Eigenschaften. Wir reden von weiblichen Eigenschaften und alleine, dass wir von männlichen und weiblichen Eigenschaften reden, ist ja schon eine Zuordnung.

Stimmt, ja. Nehmen wir also die Eigenschaften lieber als Pool von Phänomenen?

Ich habe auf Facebook einmal die Frage in den Raum gestellt: „Was sind für euch und darf ich darum bitten, es nur positiv zu formulieren? -was sind für euch typische männliche Eigenschaften und was sind typisch weibliche Eigenschaften?“  Und dann kamen im Wesentlichen 10 verschiedene Begriffe raus. Für männlich sagten die Leute: zielgerichtet, strukturiert, wehrhaft, denkend, stark.

Ok, da stellt sich mir die Frage: „Wo ist da der Unterschied?“

Auf der weiblichen Seite: zart, fühlend, verletzbar, hingebend, empfangend.

Der einzige Punkt, über den ich persönlich vielleicht stolpern würde, wo sich mir die Frage stellt… inwiefern ist ein Mann empfangend, gleichermaßen wie eine Frau empfangend ist? Denn da denke ich natürlich gleich an Empfängnis, den Mann in sich aufnehmend. Aber der Rest, mit Verlaub, ist doch absolut geschlechtsneutral, oder?

Würde ich auch so sagen. Und du hast natürlich recht: Im sexualbiologischen Sinn spricht man von Empfängnis bei der Frau, aber darüber hinaus, wenn wir Körper, Geist und Seele mit hinzu betrachten, haben Männer genauso empfangende Qualitäten wie Frauen auch. Natürlich. Da kann man sich jetzt im Detail darüber austauschen, aber in dem Moment, wo wir uns jetzt darüber unterhalten, empfange ich natürlich auch Energie von dir und Interesse oder Desinteresse von dir. In unserem Fall sogar großes Interesse.

Absolut. Ich bin begeistert. Ich find es super wichtig.

Natürlich nehme ich sehr viel auf. Und das geht ja schon als Kind los, das wir ganz viel aufnehmen.

Ich möchte diesen Satz aus unserem Vorgespräch aufgreifen. Da habe ich dich gefragt: „Eilert, wie ist das? Wenn wir dahin kommen, dass wir alle diese Eigenschaften gleich verteilt haben, wenn das Männliche und Weibliche nicht mehr  so getrennt im Raum steht, wo kommen wir denn dann hin? Wie ist das dann mit der Spannung, mit der berühmten erotischen Spannung?“ Und du hast gesagt: “Wie wäre das in den Augen des Kindes?“ Und das finde ich bemerkenswert. Kannst du das bitte auch für unsere Zuschauer erklären?

Das war die Frage nach den Unterschieden. Wir haben in unserer Kultur, dadurch, dass wir ein Stück weit eine Schräglage empfinden, das Bedürfnis zu erklären. Und das Bedürfnis zu erklären, entsteht hier im Kopf. Das heißt, wir bauen ganz viel Kognitionen auf, wo wir erklären: „Männer sind so und Frauen sind so.“ „Männer wollen ihren Samen streuen, Frauen brauchen einen Versorger.“ Diese ganzen Kognitionen, die, wenn man sich das anthropologisch anguckt, keinen Bestand haben. Die sind in höchstem Maße hinterfragbar.

Ok. Also bei diesem Gedanken werden jetzt viele möglicherweise stolpern.

Ja.

Wie siehst du das? Inwiefern sind die hinterfragbar oder wie nimmst du dies wahr?

Weil wir auf unsere Kultur, die eine patriarchalische Kultur ist, so einen FredFeuerstein- Blick haben. Wir haben irgend so ein Bild im Kopf, das in unserer heutigen Zeit gewachsen ist und wir projizieren das zurück. Tatsächlich ist es aber so, dass wir vor 30, 40 tausend Jahren noch gar nicht dieses Mama-Papa-Kind-Modell hatten, wo überhaupt ein Versorger gebraucht wurde. Menschen sind in Sippen aufgewachsen und wurden in Sippen rein geboren, wurden von der Sippe großgezogen. Du kennst dieses Sprichwort: „Um ein Kind groß zu ziehen, braucht
es ein halbes Dorf.“

Das, was heutzutage definitiv zu kurz kommt. Und dennoch. Meinst du nicht, dass es selbst dort immerhin Unterschiede gab? Wohin mit der Vorstellung? Wir sind, rein anatomisch betrachtet, unterschiedlich.

Da sind wir bei dem Kind. Weil ich im Vorgespräch gesagt habe: „Was würde ein Kind sagen? Ein Kind, das mit aller Liebe und offenem Herzen großgezogen wurde? Worin eine Frau und ein Mann sich unterscheiden?“ Das Kind würde vermutlich sagen: „Das hört man. Die Stimmen sind unterschiedlich. Das sieht man, das fühlt man. Ihr fühlt euch unterschiedlich an.“ Vermutlich wäre nicht sehr viel mehr. Vielleicht „Aus der Mama kommen die Kinder raus und durch den Mann kommen sie rein.“ Wobei, da fangen ja schon die Kognitionen an, die ein Kind noch gar nicht hat. Ein Kind nimmt ja einfach nur wahr.

Hat die Rollenverteilung und die Idee der Unterschiedlichkeit oder Rollenzuschreibung nicht auch mit dem Begriff der Tradition zu tun? Und hat Tradition nicht etwas mit der Notwendigkeit und unserem Bedürfnis nach Stabilität zu tun? Weißt du, wie ich das meine? Mir kommt es manchmal so vor, als würden wir die ganze Tradition als Institution, als Phänomen streichen wollen.

Ist das so?

Worin besteht denn noch die Tradition in Bezug auf das Geschlechtliche? Wir versuchen heutzutage unser Lexikon umzukrempeln. Wir sagen nicht mehr „Gott“, wir sagen „Göttin“. Wir schreiben nicht mehr „man darf“, wir schreiben „man/frau darf“. Ich persönlich als nicht Muttersprachlerin habe so meine Schwierigkeiten, mich zu entscheiden, wie soll ich mich denn jetzt artikulieren, damit es politisch korrekt ist, damit ich keinem auf den Schlips trete? Da stehe ich manchmal und schüttele mit dem Kopf und sage: „Muss das alles sein?“ Und doch zurück zur
Tradition. Rollensichtweise. Wie siehst du das? Oder wo ist für dich noch Tradition und wo ist für dich, ich sag einmal, Rollen-Nivellierung, -Ausgleich?

Also ganz klar, wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Wir können uns nicht so ohne weiteres wieder in die Zeit zurückversetzen, wo wir als Sippen zusammengelebt hatten, wo das Mama-Papa-Kind-Modell keine Rolle gespielt hat, aber das will ja auch niemand. Vielleicht gibt es Menschen, die das wollen, das wäre jetzt nicht mein Anliegen. Weil ich auch nicht glaube, dass das geht.

Du kannst nicht aus einer Kulturgeschichte, die gewachsen ist, mal eben den Schalter umlegen und wieder etwas inszenieren wollen, was es vor 30 tausend Jahren mal gab. Also es muss sich natürlich nach vorne entwickeln. Und Entwicklung ist sowieso drin. Wo du von Tradition sprachst, hattest du eben gesagt, da ist ja auch das Bedürfnis nach Stabilität. Ich glaube, dass das Bedürfnis nach Tradition umso größer ist, je instabiler sich etwas anfühlt. Und ich glaube, dass wir zwischen Frau und Mann eine Abhängigkeit entwickelt haben, die sich instabil anfühlt.

Und da möchte ic noch einmal auf dieses Bild vom Fächer zurückgreifen und einfach mal auf individuelles Empfinden zurückkommen. Wenn ich als Mann in unserer Gesellschaft den der Fächer sogenannten weiblichen Eigenschaften überhaupt nicht entfalten darf (faltet den Fächer zur Hälfte zusammen) und du stellst dir das hier (zeigt den nur zur Hälfte geöffneten Fächer) als menschliche Ganzheit vor -Es ist ja alles da, es ist nur nicht ganz entfaltet -Das wirkt nicht sonderlich stabil.

Was für ein schönes Bild, wow.

Dann brauchen wir Erklärungen dafür und dann brauchen wir, um uns ganz zu fühlen, die andere Seite. Dann brauche ich ein Erklärungsmodell: Naja, die Frauen sind so (schließt einen Teil des Fächers) und wir brauchen unsere Anziehung, damit wir am Ende so werden (entfaltet den Fächer ganz). Und es gibt ein tolles Zitat, ich weiß jetzt leider nicht, von wem das ist, ich sage es aber trotzdem.

„Zwei Hälften, die sich zusammentun, ergeben ein Ganzes. Ja, das stimmt. Aber zwei Ganze, die zusammenfinden, das ist wahre Liebe, das ist Schönheit.“

Und das berührt mich jetzt selbst, wo ich es nochmal sage. Und das ist eben das (zeigt den aufgefalteten Fächer).

Wenn du das so zeigst, dann wird es auf einmal wirklich greifbar. Und dann sagt doch vermutlich jeder oder ich sage mal viele: „Ich möchte ganz sein!“ Wer möchte schon kupiert werden.

Und du fragtest eben nach der Erotik, nach der erotischen Spannung. Und da denke ich jetzt gerade auch an das, was Ilan Stephanie gebetsmühlenartig wiederholt. „Was sind die Voraussetzungen überhaupt für einen erotischen Raum?“ Das ist Sicherheit, das ist Entspannung. Und wir brauchen die Möglichkeit, uns in unserer Ganzheit entspannen zu können. Also ich mache mir um die Erotik da wirklich keine Sorgen, weil ich glaube, die kann sich überhaupt erst in ihrer ganzen Tiefe entfalten, wenn wir ganz sein dürfen.

Das ist so ein schönes Bild, Mann! (zeigt auf den Fächer) Wie bist du bloß darauf gekommen? Es ist wunderbar.

Ich bin auch ganz stolz darauf.

Da kannst du stolz darauf sein, das ist absolut genial und das zeigt das wirklich so gut, wow. Jetzt bin ich selbst gerade so berührt, dass ich fast die Frage vergesse. Und dennoch, gehen wir zurück auf die Frage mit den Interviews. Du bewegst dich in diesem Bereich schon länger. Du trägst dich mit dem Gedanken und es reift in dir. Und dir begegnet ein Mann von der Straße, der keinen Schimmer hat, was du damit bezweckst. Was war die Herausforderung bei den Männern, was war die größte Schwierigkeit. Womöglich gab es etwas, womit sich alle schwergetan haben.

Weißt du, so ein bisschen aus diesem Aspekt, aus dem Inneren heraus. Was hat dich überrascht?

Das ist ja ein ganzes Fragenpaket.

Ja, ich bin so neugierig, wie das abgelaufen ist, denn du triffst auf unterschiedliche Menschen mit deiner Botschaft.

Ganz klar. Die Leute, die sich auf meinen Aufruf gemeldet haben, sind alles Männer, die schon angefangen haben, den Weg der Selbstreflexion zu gehen und die angefangen haben, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Die einen mehr, die anderen weniger. Manche recht frisch, seit eineinhalb Jahren, andere schon seit 20 Jahren. Es gab auch Männer, die unterwegs ausgestiegen sind. Auch das gab es.

Das ist interessant. Warum?

Weißt du, bevor ich den Aufruf gestartet habe, habe ich erst einmal versucht, möglichst klar zu kommunizieren, was ich von den Männern haben will. Dass ich die Nacktfotos haben möchte, die unbekleideten Fotos, dass ich im Interview Fragen zu Körperbild stellen werde, zur Art und Weise, wie sie in Beziehung gehen, zu ihrer Sexualität. Ich habe auch das Thema Gewalt  erwähnt. Natürlich auch Visionen. Ich habe versucht, möglichst klar zu kommunizieren, was die Männer erwarten wird.

Also es ist keiner abgesprungen in dem Moment, als er die Fotos gesehen hat. Dasging.

Beim Interview war das anders: Da war dann ein 30jähriger Mann dabei, der mit mir das Interview gemacht hat, und mich einen Tag später anrief und sagte: “Eilert, es war für mich kein Problem, im Zwiegespräch mit dir all das zu offenbaren, aber die Vorstellung, damit raus zu gehen und ein Gegenüber zu haben, das ich nicht kenne, den Leser, das ist mir too much.“

Soviel zum verletzt werden vom Mann, oder?

Ja. Und das ist mir auch während des ganzen Prozessverlaufs ganz wichtig, so etwas zu respektieren. Es ist mir einfach wichtig, dass die Männer, die in diesem Buch drin sind, das Gefühl haben, sie bekommen hier einen sicheren Raum.

Ja. Die Fragen sind recht intim. Gab es vielleicht eine Frage, die den meisten Schwierigkeiten bereitet hat oder wo die Leute darüber gestolpert sind?

Es gab immer mal wieder Fragen, die Schwierigkeiten bereitet haben, wo die Leute gestolpert sind. Ich frage ja unter anderem auch nach den Grundemotionen. Die Psychologie, zumindest nach der Lehre, die ich gelernt habe, kennt fünf davon. Freude, Angst, Trauer, Wut und Ekel. Und zum Thema Ekel saßen ganz viele auf dem Schlauch. Kein Gefühl dafür, was ihnen Ekel bereitet. Die üblichen Sachen wie Exkremente und dergleichen: das ja. Aber darüber hinaus… Ich habe das
manchmal auch vertieft und gefragt: “Gibt es menschliches Verhalten, das dich ekelt?“

Ekel ist eine Emotion, wo wir am meisten den Deckel darauf haben. Das war etwas, was mir vorher nicht so klar war.

Es gibt einen anderen Aspekt, der mich auch sehr berührt hat und der mir vorher auch so nicht klar war. Dass Männer im Bereich ihrer Genitalien im Verlauf ihres Lebens tatsächlich Verletzungen und Traumatisierungen erleiden, vor allem im Bereich der Vorhaut. Jetzt weiß ich es von mir selbst, ich hatte damals als Kind auch eine Vorhautverengung. Ich glaube, es war sogar einmal im Gespräch, ob das beschnitten werden müsste oder nicht.

Diesen Schritt macht man ja bei extremer Vorhautverengung schon einmal. Ich habe das ehrlich gesagt als Kind schon vermeiden wollen und habe so lange trainiert, bis sich das Gewebe so nach und nach weiten konnte. Heute ist das kein Thema mehr für mich.

Aber zu hören, wie viele Männer in dem Bereich ein Thema haben ohne die Möglichkeit, dass darüber gesprochen werden konnte. Einer erzählte mir zum Beispiel, dass er seinen Vater darauf ansprach und das einzige, was er sagte, war: “Dann wasche ihn halt.“

Ach du meine Güte.

Er hat ihn mit dem Thema alleine gelassen. Andere erzählten auch von wirklichen Verletzungen an der Vorhaut, am Frenulum. Das es gerissen ist aus Unerfahrenheit beim Sex.

Mir ist das auch einmal passiert, das heißt, meinem Partner ist das passiert. Wir hatten ein mächtiges Blutbad und uns beide zu Tode erschrocken. Gut, wir waren beide erwachsen, also junge Erwachsene. Beschnittene Männer hattest du nicht dabei?

Es sind auch beschnittenen Männer dabei, aber ich bedaure es jetzt fast im Nachhinein: ich habe nicht explizit nachgehakt.

Im nächsten Projekt. Was versprichst du dir davon? Stellen wir uns mal vor (wir haben uns jetzt schon verabredet und es ist jetzt nur so ein kleiner Vorgeschmack), dass wir uns noch einmal treffen wollen, wenn wir das Buch in den Händen halten können. Was ist deine Vision? Blättere ich jetzt in dem neuen Buch und sehe die Fotos und die Geschichten dazu. Was ist dein Wunsch? Was soll es bewirken?

Ich möchte einen Impuls in die Welt senden. Den Impuls, den Männer, wenn sie Glück haben im Austausch mit andern Männern, zum Beispiel in einer Männergruppe, erfahren können. Aber dort bleibt das meistens in diesem engen Kreis. Ich kenne das unheimlich oft, und vielleicht kennst du das auch aus Gruppenarbeit, dass Menschen hinterher sagen: „Das, was ich hier erlebe, das bereichert mich so. Aber dann muss ich wieder raus in die kalte Wirklichkeit.“ Und das, was in so einer Gruppenarbeit passiert, ist ja, dass wir ein bisschen Gelegenheit bekommen, unseren Fächer zu entfalten. Und ich möchte ein bisschen von diesem Fächer in die Welt bringen.

Welche Vorstellung hast du von der Idee, ich öffne mich und bin dennoch geschützt? Bedürfnis nach Schutz ist ja unser Instinkt. Welche Impulse gibst du den Menschen in deiner Praxis? Wie kann es sich miteinander verbinden, dass ich offen und dennoch geschützt bin? In der Welt da draußen, die ich möglicherweise für mich nicht mehr als kalte Welt gestalte und mir vorstelle?

Wie gehe ich warm und offen durch diese Welt?

Du hast eigentlich das Stichwort schon gesagt. „Wie ich es mir gestalte.“ Es ist natürlich keine gute Idee, am besten noch im Winter, sich jetzt auf den Alexanderplatz zu stellen und sich alle Kleider vom Leib zu reißen und zu sagen: „Seht her, so bin ich nackt und verletzlich.“ Da wirst du wahrscheinlich mehr Ärgernis hervorrufen.

Eher im übertragenen Sinne. Man öffnet sich und sagt: „Ich traue mich zu weinen, ich traue mich als Frau, die angeblich männlichen Qualitäten rüber zu bringen. Ich schockiere meinen Ehemann.“ Oder du als Mann, „ich schockiere meine Partnerin, indem ich vor dem Fernseher weine.“ All die Kleinigkeiten. Wie kann man sich trotzdem geschützt durch das Leben bewegen? Insbesondere, wenn sich jetzt jemand angesprochen fühlt und in sich diese Impulse spürt und nicht in einer Männergruppe ist oder möglicherweise keinen Begleiter hat. Hast du eine Idee für denjenigen? Wie schafft man es, sich nicht wieder zu verschließen?

Wie schafft man es, diesem Impuls nachzugeben und dennoch stark und standhaft zu bleiben?

Also, der erste, wichtigste und tollste Schritt ist, überhaupt einmal diesen Impuls wahrzunehmen. Zu merken: Ich fühle mich nicht entfaltet, ich fühle mich eingegrenzt, ich fühle, dass ich mein Potenzial nicht lebe. Das überhaupt erst einmal wahrzunehmen, ist ja schon ein riesen Schritt. Ich glaube, unheimlich viele Menschen nehmen das so überhaupt nicht wahr. Und ehe sie es wahrnehmen können, sind sie schon wieder in irgendwelchen Erklärungen, dass die Dinge so sind, wie sie sind und hinterfragen deshalb auch nicht. Jeden Menschen, der wahrnimmt, dass noch mehr in ihm steckt, als das, was ihm adhoc bewusst ist, beglückwünsche ich an der Stelle.

Das klingt schon ermutigend.

Das ist aber auch wirklich der wichtigste Schritt. Denn von da aus kann ja der Impuls entstehen, dass sich etwas öffnen kann. Und dann bist du natürlich immer gut beraten, deine Räume der Öffnung nach und nach zu gestalten. Und da gibt es eine Haufen Wege. Manche davon sind radikaler, manche sind vorsichtiger.

Wie meinst du das?

Na zum Beispiel in eine Männergruppe zu gehen oder in eine Frauengruppe. Oder in eine gemischte Gruppe. Es erfordert auch schon einen gewissen Mut. Du zeigst dich einem Kreis von Leuten.

Bietest du Männergruppen an in deiner Praxis bisher?

Noch nicht, aber es ist geplant.

Und deine Praxis ist wo?

Die ist genau auf der anderen Seite von Berlin, ganz unten im Süden.

Wir sitzen hier in Oranienburg. Wir sind jetzt hier gerade auf der 12 Uhr Position außerhalb von Berlin und ich bin unten auf der 6 Uhr Position gerade noch innerhalb von Berlin.

Ok, also dann schlagen wir die Brücke über Gesamtberlin.

Genau. Soweit zu Männergruppen. Sie sind natürlich eine Möglichkeit, dem Impuls zu folgen, sich selbst zu zeigen. Aber eben auch eine Herausforderung, weil du dich ja mehreren Menschen zeigst.

Eine andere Möglichkeit ist, zu einem Coaching, oder einer Therapie zu gehen. Zu einem Menschen, wo man das Gefühl hat, ja, dem kann ich vertrauen. Der nimmt mich so an mit allen meine Aspekten. Somit auch mit meinen destruktiven und fiesen Aspekten und meinem Hass. Und er zuckt auch nicht vor dem Thema Rache zurück und was da alles an Themen vorkommen kann. Das will ja gehalten werden. Also entweder so jemanden dazu zu holen und sich begleiten lassen. Oder wenn auch der Schritt noch nicht dran ist, ist es wie in dem Projekt: Man kann das ja
auch alleine mit der Handykamera machen. Einfach einmal Selfies zu machen und ruhig auch einmal den Schritt zu wagen, sich nackt anzugucken.

Um sich die Bilder immer wieder anzuschauen und einen ersten Schritt zu machen. Gibt es etwas, womit ich mich wenigstens ein bisschen anfreunden kann? In meinem Prozess waren es beim ersten Durchgucken der 300 -400 Bilder zwei Bilder, die mir gefielen. Beim zweiten Angucken waren es schon 10 Bilder. So kamen nach und nach immer mehr Aspekte dazu, wo ich sagen konnte: „Naja, das gefällt mir jetzt nicht so, aber wenn ich mir auf den anderen Bildern gefalle und das bin ich doch auch, dann kann ich das doch auch mit reinnehmen.

Das ist absolut wichtig. Das ist wirklich heilend. Alleine schon das, was du beschreibst, wow. Und das ist ja definitiv etwas, was Männer und Frauen vermutlich gleich empfinden. Diese Schamgrenze, mag ich mich, mag ich mich nicht, entspreche ich einem Ideal und was ist überhaupt ein Ideal?

Ja. Und ich glaube, es gibt für jeden den passenden Einstieg um ein bisschen mehr seines Fächer zu entfalten.

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Foto: Stefan Gerber

Eilert Bartels, Jahrgang 1968 lebt seit 29 Jahren in fester Partnerschaft mit seiner Frau Judika Bartels und ist Vater zweier Kinder. Er ist Mitgründer der Praxis “Beziehungsperspektive” in Berlin, wo er seit 2015 als Psychologischer Berater, Heilpraktiker für Psychotherapie und als Paar- und Sexualtherapeut gemeinsam mit Judika Konzepte für sexuelle Selbstbestimmung entwickelt und anbietet.

Die Beschäftigung mit Geschlechterrollen und männlicher Identität begleitet ihn fast sein ganzes Leben und führte Anfang 2017 zum Start des Projektes “huMANNoid – MÄnner sind Menschen.

Kontakt:
www.beziehungsperspektive.de
kontakt@beziehungsperspektive.de
www.humannoid.de
kontakt@humannoid.de

Über Elinor Petzold 7 Artikel
Elinor Petzold, Hypnosystemische Selbstregulation, Hypnose & Sexualität, Intimfitness PelvisGym & Männerberatung in eigener Praxis in Oranienburg bei Berlin. In ihrer Praxis für Hypnosystemische Selbstregulation bietet sie auch gezielt die Männerberatung an.

Sie ist Ko-Gestalterin und Moderatorin vom online-Sexualitätskongress „Wege durch das Labyrinth“ 2017 in dem auch die männliche Sexualität, Männerprojekte und auch BDSM als Lebens- und Liebensart thematisiert wurden.

Homepage von Elinor Petzold: elinor.elixir-med.de
You-tube Kanal: youtube.com/channel
Kontakt: info@elixir-med.de oder Mobil: +49 176 800 57 473

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