“Nicht erst seit #metoo steht der „Mann“ in der Kritik. Im Rahmen der Geschlechterdebatte reproduzieren wir seit Jahren Klischees über „den Mann“.
Die alten Rollenmodelle taugen nicht mehr, neue wollen erarbeitet werden und viele Männer fragen sich: “Was bedeutet Mannsein in unserer Gesellschaft? Bin ich ein normaler Mann?
Wie sollte ich denn sein? Und will ich das überhaupt?“
Mit diesen Zeilen beginnt der Text, mit dem die Lesung zum Buch huMANNoid | Männer sind Menschen angekündigt wird.
Und tatsächlich hat mich die Geschlechterdebatte und die daraus entstehenden Fragen mich viele Jahre meines Lebens begleitet.
Als Tom Süssmann mich nun um diesen Bericht zu meiner Lesereise bat, wurde mir klar, dass ich im Grunde dabei bin, auf der Reise meines Lebens und auf der Suche meines Mannseins bei mir selbst anzukommen.
Den klischeehaften Zuschreibungen „Mann = Täter / Frau = Opfer“ mochte und konnte ich irgendwann nicht mehr glauben, viele idealisierende/esoterische/spirituelle Konzepte einer „neuen/wahren/gestärkten Männlichkeit“ überzeugten mich aber auch nicht ganz. Ich merkte einfach nur:
Ich habe genug vom Geschlechterkrieg und Rollenzuschreibung.
Mit dem Buch huMANNoid | Männer sind Menschen will ich aus dieser Debatte aussteigen.
Vielmehr geht es mir darum, eine ganzheitlichere Sicht auf männliche Menschen zu ermöglichen. Eine Sicht, die nichts verschweigt und nichts beschönigt.
Kein Ringen um Rollen und Klischees. Keine neuen Ideale.
Stattdessen ein unbedingtes Ja zu allem, was uns als Menschen ausmacht. Für dieses Buchprojekt haben 16 verschiedene Männer im Alter von 26 bis 75 Jahren in Interviews mit mir und bar jeder Kleidung vor den Kameras zweier Fotografen alle Rollen abgelegt, so gut es ihnen möglich war.
Denn ich bin überzeugt:
Als Menschen müssen wir Frauen und Männer “Reifrock und Ritterrüstung” ablegen. Wenn wir einander wirklich sehen und berühren wollen, müssen wir uns zeigen. Jenseits aller Rollen. Und ich glaube, so wird es auch möglich, einander zu verstehen.
Die Lesereise, die mich bereits im November in fünf verschiedene Städte geführt hat, ist nun für mich die Nagelprobe quasi im realen Leben, ob das funktionieren kann.
Was ich bisher auf meiner Lesereise erlebt habe, habe ich in kurzen Texten auf facebook festgehalten, die ich nun hier zusammengestellt und überarbeitet habe.
Männer, die sich im Buch zeigen, wie sie sind?
In Wort und Bild? Und dann auch noch nackt? Vielen Menschen, die zu den Lesungen gekommen sind, stand ebensoviel Interesse wie abwartende Distanzierheit im Gesicht. Zu erleben, wie die Gesichter dieser Menschen weicher wurden, wie Offenheit und Freude an der Begegnung und am Miteinander-ins-Gespräch-Kommen entstand, ist für mich das eines größten Geschenke, die ich dabei empfangen durfte.
“Wie einfach könnte es sein, wenn wir offen auf einander zuzugehen.”
17.11.2019:
Pause auf dem Weg zur nächsten Lesung: Gestern durfte ich in Leipzig in der Paartherapiepraxis meines Kollegen Volker Richter lesen. Es kamen drei Frauen und ein Mann.
Eine ältere Dame war besonders berührt von der Erfahrung, die praktisch alle Männer im Buch miteinander teilten: Die fehlende seelische Präsenz ihres Vaters. Auch sie selbst fand sich in dieser Erfahrung wieder.
Der junge Mann war nach der Lesung und der anschließenden Gesprächsrunde leider sehr schnell weg.
Aber eine junge Frau hat mich tief berührt. Sie, deren Gesichtsausdruck auf mich kritisch distanziert wirkte, sagte vor der Lesung, sie sei aktiv in Frauenbewegung und Frauenkreisen, und sei neugierig, zu erfahren, was sich auf Männerseite so tue.
Während der Lesung hatte ich das Gefühl, dass ihr Ausdruck entspannter und weicher wurde. In der Gesprächsrunde nach der Lesung meinte sie dann sinngemäß:
“Ich merke, wie häufig ich kategorisiere, wenn ich Menschen begegne, und mir damit oft auch selbst weh tue. Wie einfach könnte es sein, wenn wir offen auf einander zuzugehen.”
Das sind Momente, für die ich so unglaublich dankbar bin.
„Gewalt ist Teil der Ganzheitlichkeit von Menschen“
18.11.2019:
Windelsbach ist eine kleine Gemeinde mitten auf dem fränkischen Land, wo die klassischen Rollenverteilungen von Mann und Frau nach wie vor tief sitzen.
Auf die Lesung war der Veranstalter deshalb genauso gespannt war wie ich selbst! Es wurde ein sehr intensiver Abend mit einer gut besuchten Lesung, mit etwa gleich vielen Männern und Frauen.
Darüber freue ich mich jedes mal am meisten: Wenn die Menschen untereinander beginnen, sich auszutauschen über Männerbilder, Frauenbilder, eigenes Erleben, wenn sie einander offene Fragen stellen und sich so die Perspektiven weiten.
Was mir gestern noch bewusster geworden ist, wie wichtig es ist, uns nicht nur mit unseren Verletzungen zu zeigen, sondern auch, dass wir lernen, uns über unser eigenes verletzendes Verhalten auszutauschen.
Für mich war gestern spürbar, wie bei einigen Menschen erst in dem Moment sich deutlich etwas entspannte, als sie erlebten, dass auch dieses Thema der erlebten, wie auch der verübten Gewalt nicht ausgespart wird.
Denn auch das ist Teil der Ganzheitlichkeit von Menschen. Das ist Teil meiner Ganzheitlichkeit, deiner Ganzheitlichkeit, das ist Teil der Ganzheitlichkeit eines jeden Menschen.
Von Herzen Dank an Wolfgang Heinzel für die Einladung in seinen Gasthof Linden und den liebevoll bereiteten Rahmen für den gestrigen Abend mit Lesung und Gespräch! So ein bewegender Abend!
Sexualität, Narzisstische Anteile, die authentische Begegnung mit dem Vater und noch einige Geschenke
19.11.2019:
Ich fühle mich geehrt!
Das Männerbüro Karlsruhe hat für meine gestrige Lesung zum ersten Mal seit vielen Jahren zu einer Veranstaltung nicht nur für Männer, sondern für Menschen aller Geschlechter eingeladen. Ein sehr dichter Abend, mit hoher Emotionalität, viel Mitfühlen und auch durchaus kritischen Fragen aus einem gut gemischten Publikum mit etwa 40 Männern und Frauen.
Neben vielen Fragen zur Entstehung und Durchführung des Projektes wollten die Menschen hier noch zusätzlich Ausschnitte aus den Interviews hören, speziell zum Erleben der eigenen Sexualität, aber auch die Antworten zu erlebter und ausgeübter Gewalt interessierte die Menschen besonders.
Eine weitere Frage sorgte für viel Diskussion auch unter den Gästen der Lesung: “Waren das alles Narzissten mit Hang zum Exhibitionismus?”
Ich wüsste nicht, warum ich mich nackt für ein Buch fotografieren lassen sollte.”
Es gibt sicherlich viele Gründe dafür, und ich kann die hier vermuteten Anteile auch nicht ausschließen. Weder bei mir selbst, noch bei anderen Menschen.
Vor allem aber denke ich mir: Vielleicht ist es einfach gut, dass es Menschen gibt, die sich so zeigen, wie sie sind. Menschen, die den Mut haben, sich nackig zu machen, damit sich etwas bewegen kann, damit wir in einander erkennen und dadurch berühren können.
Vielleicht kommt so etwas mehr Verständnis in die Welt. Für andere Menschen, vor allem aber für sich selbst. In jedem Fall habe ich gestern viele Impulse zum Nachdenken und Weiterentwickeln mit genommen. Für mich das zweite große Geschenk dieser Reise: Zu spüren, dass mir das Projekt mehr Gelassenheit gegeben hat, „Ja“ zu wirklich allen Anteilen in mir als Mensch sagen zu können.
Nach dem Programmteil sprach mich ein junger Mann noch persönlich an, und erzählte mir, dass er seinen Vater liebe, aber den echten authentischen Austausch mit ihm vermisse. Der Abend habe ihn ermutigt, mit seinem Vater über sein Bedürfnis nach mehr persönlicher Begegnung zu sprechen. Was für ein Geschenk!
Heute Morgen sagten mir meine Übernachtungsgastgeber, dass sie die 40 zum Teil einander fremden Menschen am gestrigen Abend wie eine Gemeinschaft empfunden haben. Noch ein Geschenk!
Gesichter, die weicher, und Herzen, die offener werden
20.11.2019:
Pause auf der Rückfahrt nach Berlin nach meiner vierten Station meiner Lesereise in Mainz in den Räumen des Opfer- und Täterhilfe e.V.
Dieser Verein leistet großartige Arbeit, allein schon dadurch, dass er beiden Seiten häuslicher Gewalt Hilfe anbietet, und das darüber hinaus sogar unabhängig vom Geschlecht. Und auch die Mainzer Männerinitiative MMI e.V., deren Einladung, in Mainz zu lesen, ich so gerne gefolgt bin, leistet großartige und verdammt wichtige Arbeit, in Zeiten, in denen städtische, staatliche und kirchliche Hilfsangebote für Männer in seelischer und physischer Not immer mehr gekürzt werden.
Der Bericht darüber, der meiner Lesung vorausging, hat mich erschüttert, und zugleich Mut gemacht, weil hier so viel Vernetzung und gegenseitige Unterstützung stattfindet. Die Männer vom MMI haben übrigens ein Telefon eingerichtet als erste Anlaufstelle, an die Männer sich wenden können.
Wie die Gesichter der überwiegend männlichen Gäste nach und nach weicher, und die Herzen offener wurden, hat mich während der Lesung in Mainz ganz besonders berührt.
Nach der Lesung gab es einen Stuhlkreis mit etwa 20 Männern und zwei Frauen.
Wie viel Austausch und Berührung der Menschen untereinander da stattfand!
Wir sprachen über fehlende Väterpräsenz, Bodyshaming, darüber, welchen Wert es hat, mit seinen Gefühlen präsent zu sein, wie ermutigend es auch für andere ist, sich zu zeigen, und dass diese vermeintliche Schwäche durchaus eine Stärke sein kann, die auch an seine Kinder weiterzugeben sich lohnt!
Wir sprachen darüber, auch zu den eigenen kraftvollen oder auch lauten Anteilen stehen zu können, wir sprachen über die Tabuisierung von Sexualität und schließlich über die Frage, ob und wie wir unsere Kinder auf ihrem Weg ins Leben unterstützend begleiten können, ohne ihre eigene Entfaltung einzuengen.
Tatsächlich kam hier einmal die Frage auf, was „Mann-Sein“ eigentlich ausmacht. Die Antwort fand die Runde schnell: “Das muss und darf jeder für sich selbst bestimmen.“
Fazit eines Mannes am Ende der Gesprächsrunde:
“Dieser Abend war ein wichtiger Schritt in meinem Leben.”
Fazit eines Mannes am Ende der Gesprächsrunde:
Ich bin ganz beseelt von diesem warmherzigen und ehrlichen Austausch! Ihr macht tolle Arbeit in Mainz. Ich freue mich sehr über dieses Netzwerk! Tausend Dank dafür!
Der spielerische und freudvolle Umgang mit Rollen
29.11.2019:
Gestern durfte ich in Hannover lesen, und zwar in den Liebhabereien, dem wunderschönen und heimeligen kleinen Laden für handgemachte Korsagen, sinnliche Dessous und erotische Accessoires.
Ein vielleicht etwas ungewöhnlicher Ort für meine Lesung zum Buch Humannoid – Männer sind Menschen – auf den ersten Blick. Wenn ich mir allerdings überlege, dass vieles an diesem lebensfrohen Ort um das spielerische Schlüpfen in Rollen geht, ergibt das durchaus Sinn:
In der Einleitung zum Buch steht: Im gemeinsamen Gespräch nach der Lesung konnten wir herausfinden, wie viel Raum zur menschlichen Entfaltung überhaupt erst dadurch möglich wird, wenn wir zuerst einmal aus allen Rollen (ja, auch den Rollen “Mann/Frau”) aussteigen, und uns mit offenem Blick und freien Herzen ansehen und anhören, was ganzheitliches Menschsein eigentlich ausmacht.
Spontan entgegnete eine Frau z.B.: “Aber ich habe doch meine Sexualität als FRAU!” Dann hielt sie kurz inne, und erinnerte sich: “Ach, jetzt fällt mir ein, dass wir in einem Seminar einmal herausarbeiten sollten, was denn eigentlich weibliche Sexualität genau sei. Das ist uns gar nicht gelungen!”
Für mich ist klar: Außerhalb aller Rollen, auf die wir festgelegt sind können wir uns in unserer Ganzheit erst so richtig wahrnehmen.
Und diese ganzheitliche Wahrnehmung wiederum ermöglicht uns einen freieren, verantwortlicheren, aber auch einen spielerischen und auch freudvollen Umgang mit den Rollen, die wir annehmen. Auch mit den Rollen von Mann und Frau.
Darüber hinaus haben wir uns darüber unterhalten, dass es wichtig ist, Zeit und Raum “unter sich” zu haben. Dass es gut und wichtig ist, dass es Frauenkreise und Männergruppen gibt, dass eine “Verinselung” aber auch zum Problem werden kann.
Und wir haben festgestellt, dass es Sehnsucht nach etwas gibt, was wir wohl erst noch gemeinsam entwickeln dürfen. Ehrliche und authentische Begegnungsräume für Menschen, ganzheitlich und über die Geschlechtergrenzen hinweg.”
Die berührende Begegnung von Mensch zu Mensch. Es lohnt sich!
12.12.2019:
Heute, zwei Wochen nach der letzten Lesung in diesem Jahr:
Für mich fühlt es sich so an, als hätte die anfangs formulierte These die Nagelprobe bestanden.
Alle Rollen abzulegen und sich zu zeigen, wie man ist, stärkt das Ja zu sich selbst und schafft Verbundenheit.
Allerdings hat auch das seinen Preis: Nach diesen Tagen voller berührender Begegnungen von Mensch zu Mensch war ich über eine Woche lang erschöpft, und habe sehr viel Rückzug gebraucht. Wie gut, dass auch das Teil meines Mann-und-Mensch-Seins sein darf.
Übrigens: Was huMANNoid | Männer sind Menschen in die Welt tragen möchte, ist etwas, was sich auch in vielen guten Männergruppen, die es überall in Deutschland gibt, erfahren lässt: die berührende Begegnung von Mensch zu Mensch. Es lohnt sich!
Mehr zum Buch und zur Lesung in Mainz:
Bericht von Tom Süssmann zur Lesung in Mainz ->
Rezension des Buches “HuMANNoid | Männer sind Menschen ->
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