Was ist Dein größter schwarzer Wolf?
Arroganz!
Das ist das erste, was mir einfiel, als ich der Frage nachspürte: Was ist Dein größter schwarzer Wolf?
Trotz einiger Jahre Männerarbeit gibt es immer noch Reste dieser alten Vorbehalte in mir, wenn Männer sich zusammenfinden. Die alten Prägungen sitzen leider tief.
Wäre ich nicht eingeladen geworden, um das humANNoid-Projekt dort zu präsentieren, hätte ich die Mann Sein Konferenz wohl verpasst.
Und ich hätte etwas verpasst!
Rund 400 Männer, die wirklich auf dem Weg sind, sich selbst zu erforschen, tradierte Männerbilder zu hinterfragen und ihre Welt zu verändern. Die jüngsten nicht mal 20, der älteste knapp über 80 Jahre alt. Ein Wochenende, das von der Vielfalt der Männer, aber auch der Speaker und ihrer Vorträge lebte. Ein Wochenende, das getragen war von dem Willen und der Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen und sich einander zu öffnen.
Es war gleich der erste Vortrag mit Andreas Reimers, der uns mit dem Bild der weißen und schwarzen Wölfe einlud, nach den inneren Anteilen zu suchen, die uns im Leben so oft im Wege stehen.
Reimers forderte uns auf, gemeinsam unseren größten schwarzen Wolf zu vertreiben, und so knurrten 400 Männer ihre schwarzen Wölfe an, um sie schließlich mit einem gemeinsamen Schrei
zu vertreiben.
Ich kenne die meisten meiner schwarzen Wölfe heute recht gut, und weiß, dass sie sich nicht vertreiben lassen. Denn im Grunde wollen sie uns schützen. Das sagt auch Reimers.
Ich persönlich habe gute Erfahrungen damit gemacht, meinen Wölfen liebevoll, mit zugewandtem Interesse zu begegnen. So werden sie zahm und stehen mir weniger im Wege, sondern sie begleiten mich treu auf meinem Weg. Sie verändern sich und haben dann auch kein schwarzes Fell mehr.
Und so nehme ich meinen „ Arroganz“- Wolf während der Mann Sein 2018 liebevoll an meine Seite. Er transformiert sich und legt sich mit einem gescheckten Fell aus Interesse, Neugier und der Wachsamkeit, kritisch zu hinterfragen, sobald sich Nackenhaare sträuben, neben mich.
Dort liegt er die meiste Zeit still und friedlich und beobachtet das Geschehen. Manchmal aber springt er auf, und springt freudig wie ein übermütiger Welpe um mich herum.
Etwa beim gemeinsamen Haka, angeleitet von René Lettnin. Eine kraftvolle Energie baut sich auf, während 400 Männer laut die Verse sprechen und der Choreografie des Maori-Tanzes folgen. Eine Energie, die nur sich selbst dient und mich, und sicher viele andere Männer, belebt und mich freudig und wach macht. Ein Gemeinschaftserleben im besten Sinne. Mein oft so kritischer Wolf ist entspannt und macht begeistert mit.
Mit den Wölfen heulen?
Manchmal aber spüre ich, wie mein Wolf sich aufrichtet, sich sein Fell sträubt und er zu knurren anfängt. Und das tat er ausgerechnet bei dem Mann, der schwarze Wölfe vertreiben will. Bei Andreas Reimers. Einige der Fragen, die er während seines Vortrags ans Publikum richtet, sind mir zu suggestiv. Rhetorische Fragen, bei denen die Antwort bereits mitgedacht ist:
„Willst Du Deinen schwarzen Wolf hier und jetzt vertreiben?!“
(„Äh, nein. Eigentlich nicht.“ denke ich. „Ich möchte ihn lieber integrieren und transformieren.“
Das ist aber nicht vorgesehen, das würde nicht zur imaginierten Erfolgsgeschichte passen. Und tatsächlich sagt auch niemand so etwas.)
„Wessen größter schwarzer Wolf ist die Angst, vor Publikum zu sprechen?“
Diese Frage liefert dann das Szenario, in dem das Publikum als Rudel die Vertreibung eines schwarzen Wolfs unterstützen soll.
Natürlich findet sich da jemand, der vor dem bereits instruierten Publikum seine Angst vor öffentlichem Sprechen verjagen möchte.
Er kommt bloß nicht dazu, mehr als seinen Namen zu sagen, denn wie verabredet empfängt ihn beim ersten Wort das ohrenbetäubende Johlen und Anfeuern des Publikums. Reimers steht hinter dem überraschten Probanden und reißt ihm dabei die Arme hoch. „Na, wie fühlt sich das an?“ wird der Mann rhetorisch gefragt, und zumindest mein Wolf heult laut und wütend auf.
Da will jemand unbedingt demonstrieren, dass „Angst-Wolf vertreiben“ geht. Und wenn er dafür vor Publikum ungefragt Grenzen überschreiten muss.
Denn nicht jeder, der sich traut, öffentlich zu sprechen, liebt das Bad in der Menge!
Auch ein einsamer Wolf ist Teil des Rudels
Es gibt diese stillen Männer, denen lauter Jubel nicht behagt, deren innere Mission sie dennoch alle Hindernisse überwinden lässt.
Gerald Hüther ist einer dieser Männer, und mein Wolf liegt mit erhobenem Kopf und neugierig gereckten Ohren neben mir, als er spricht. Der Neurobiologe und Hirnforscher benötigt seine Wissenschaft im Grunde nicht mehr, denn er spricht authentisch und aus tiefstem Herzen und berührt damit mich und wohl die meisten Menschen im Saal.
Seine Thesen zum Y-Chromosom braucht er nicht wirklich. Sie wirken auf mich eher wie seine innere Legitimation, als Wissenschaftler über sein Herzensanliegen zu sprechen.
Treffend klingt für mich seine Analyse des im Endstadium befindlichen Patriarchats, welches laut Hüther auf Hierarchien aufbaut und Menschen zu Objekten macht.
Sein Aufruf, sich und andere (wieder) zu Subjekten zu machen, die sich miteinander verbinden, berührt mich umso mehr, als Gerald Hüther bei all der Öffentlichkeit den Mut hat, zu seiner Einsamkeit zu stehen, was in seiner Menschlichkeit mehr Verbindung schafft als alles laute „Ahou“-Rufen auf Befehl. Voller Sympathie und Wärme begleitet der Blick meines Wolfes den stillen Abgang Gerald Hüthers, während die tief berührten Männer ihn herzlich verabschieden.
Sich einem Leitwolf anvertrauen
Friedlich und leise schnurrend bleibt mein Wolf, während ich Veit Lindau lausche.
Mein „arroganter“ Wolf hatte Veit Lindau lange abgelehnt. „Zu prominent“, „zu guruhaft“, „zu viel Werberummel,“ waren die Argumente meines Kopfes, ihn zuvor nur mit distanziertem Interesse wahrzunehmen. Hier und da mal ein halbes Video gesehen, mehr nicht. An diesem Wochenende aber höre ich ihn erstmals live, und alles ist gut. Unaufgeregt und authentisch beschreibt er seinen Weg, und liefert in klaren Bildern eine allgemeine Karte, die Menschen unterstützen kann, ihr Potential zu entfalten und ihre Mission zu finden, die sie erfüllt.
Mein Wolf liegt friedlich schnurrend neben mir.
Manchmal braucht mein Wolf auf der Mann Sein 2018 eine Pause, seinen Rückzug. Oft bin ich im Gespräch mit Männern, die an der humANNoid-Präsentation vorbei kommen, und mit denen ich manche tiefe Begegnungen erlebe, die mich immer noch berühren und für die ich sehr, sehr dankbar bin.
Auf diese Weise sind leider die Vorträge von Richard Schneebauer, Thorsten Wissmann und Eli Buren weitgehend an mir vorbeigegangen. Lediglich mein Wolf teilt sich mir energetisch mit. Bei Richard ist er wohlwollend, bei Thorsten eher uninteressiert friedlich. Eli Buren erfüllt meinen Wolf mit stiller Neugierde, während ich selbst gegen Anflüge von Müdigkeit ankämpfe.
Die Geschichten des alten Wolfs
Prof. Dr. Walter Hollstein höre ich zunächst gerne zu. Wie ein Veteran aus einer vergangenen Zeit schildert er, was Männer in den letzten vierzig Jahren im Geschlechterkrieg erlitten haben. Zwar 30 Jahre jünger, habe ich überraschend vieles, was er beschreibt, bewusst miterlebt. „Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot.“ Dieser Satz von Volker Elis Pilgrim war auch für mich eine Geißel auf dem Weg zu meiner männlichen Identität. Hollstein ist ein Pionier der Männerforschung. Auch seiner Arbeit verdankt meine und folgende Generationen, dass wir als Männer wieder mehr in unsere Mitte finden können.
Hollstein indes bleibt in der Klage über Vergangenes stecken. Angesichts seines Alters und seiner Verdienste darf er das auch. Auf die berechtigte Frage eines jungen Mannes nach der Perspektive für uns Männer hat er aber keine zeitgemäße Antwort mehr. Sich an den traditionellen männlichen Werten zu orientieren und auf Parzival zu verweisen, lässt mich und meinen Wolf jedoch hungrig am Lagerfeuer der Veteranen zurück.
Rudelgewusel und Lebendigkeit
Gut, dass es neben den Vorträgen in den Netzwerk-Café-Zeiten viel Gelegenheit zu Vernetzung, Austausch, Berührung im Gespräch und auch auf körperlicher Ebene gibt und mein Wolf dabei überreich gesättigt wird! Und das ist das eigentlich Wesentliche, was für mich die Mann Sein 2018 ausgezeichnet hat. Das ist es, was aus meinem einst schwarzen Wolf einen interessierten, liebevoll zugewandten Begleiter gemacht hat: Zu erleben, wie 400 Männer in ihrer Vielfalt miteinander etwas bewegen wollen. Für sich, für einander, und voller Willens, ein volleres, erfüllteres und ganzheitliches Mann Sein in die Welt zu tragen.
Dafür hat Andreas Reimers mit dem Wolfsrudel ein wunderbares Bild gefunden. Und damit fühlt sich auch mein inzwischen schwarz/weiß und kunterbunter Wolf „rudel“wohl!
Danke Andreas!
Und vor allem Danke an John Aigner, der der nicht nur Initiator und Herz der Mann-Sein-Konferenz ist, sondern auch Herzenswärme in den Menschen zu entfachen weiß und so unermüdlich dafür arbeitet, dass sich diese Wärme in der Welt ausbreiten kann.
Ich freue mich auf viele weitere Begegnungen mit Euch allen in der Zukunft!
Schön Männer, dass es uns gibt!
Ahouuuuu !
Hinterlasse jetzt einen Kommentar