Was bedeutet Initiation? Es gibt mehrere Ebenen der Bedeutung. Eine Bedeutungsebene liegt darin, was Du persönlich mit Initiation verbindest. Vom Wortursprung aus dem Lateinischen von „initiare“ kommend bedeutet es, „die Tür zum Geheimen öffnen“. Und das Geheime ist unser Wesenskern, also unser tiefstes Inneres. Damit ist auch bereits ausgedrückt, worum es bei einer Initiation im Kern geht.
Die Aufgabe des Initiators ist es bei dir als Mann „die Tür zum Geheimen zu öffnen“. Genau gesagt hilft er dir dabei, öffnen musst Du sie als Initiant jedoch selbst. Das kann nur funktionieren, wenn wir uns als Männer ganzheitlich verstehen. Konkret heißt das, dass wir nicht nur den körperlichen und materiellen Bereich unseres Lebens betrachten müssen, sondern auch unsere Gefühle sowie die spirituelle Ebene. Mit letzterer meine ich unsere Seele und den uns innewohnenden göttlichen Geist (nicht zu verwechseln mit unserem Verstand) sowie unsere Verbindung dazu und zum Großen Ganzen.
Ich verstehe Spiritualität als eine Haltung, die die Absicht verfolgt, dir im Sinne der Rückbindung an das Große Ganze und konfessionsungebunden eine Verbindung zum Transzendenten zu ermöglichen, so dass Du Kraft für dein Leben und Lebensfreude daraus schöpfen kannst. In alten Kulturen war die Initiation für junge Menschen in das Erwachsensein oder zu anderen Anlässen etwas völlig Normales. Auch in westlichen Gesellschaften war sie durchaus verbreitet. Durch das Industriezeitalter (Beginn ca. 1850) und Kriege wurden Initiationen nahezu ausgelöscht. In den letzten Jahren beobachte ich jedoch mit Freude, dass initiatische Angebote für Männer vermehrt zu finden sind. Männer, die heute einen Initiationsprozeß durchlaufen, haben nach meiner Erfahrung meistens schon das 40. Lebensjahr überschritten. Ihre Motivation für eine Initiation ist vielfältig. Häufig sind Krisen oder eine große Unzufriedenheit verbunden mit einem Gefühl der Leere oder eines fehlenden Lebenssinns der Auslöser.
Mein eigener Initiationsprozeß hat mich unter anderem dahin geführt, meine männliche Identität zu finden sowie meine Vision zu erkennen und mit Leben zu füllen. Ein wichtiger Schritt dabei war die Auflösung des Mutterthemas. Dadurch hat sich meine Lebensqualität, unter anderem in der Beziehung mit meiner Ehefrau, spürbar erhöht.
Heldenreise
Wenn Du dich in eine Initiation begibst, fängst Du mythologisch gesprochen an, auf deine Heldenreise zu gehen. Ich nenne diese Reise „Die Seelenreise des Mannes zum Mannbewusstsein“, weil es mir ein Herzensanliegen ist, dich dadurch auch in deiner seelisch/geistigen Entwicklung zu unterstützen. Ein Held im mythologischen Sinne ist ein Mann, der seinen inneren Ruf hört, diesen erkennt und ihm folgt, egal wohin die Reise ihn führt und auf welche Widerstände er dabei auch treffen mag. Rebillot (Rebillot P, Die Heldenreise. Das Abenteuer der kreativen Selbsterfahrung, eagle books, Wasserburg, 2011, S. 30) hat es sehr treffend ausgedrückt:
„Der Held ist das Potential eines jeden menschlichen Wesens, dem Impuls zu „etwas Größerem“ zu folgen“.
Initiation führt immer an Grenzen und genau dort, außerhalb der Komfortzone, kann Veränderung stattfinden. Du brauchst also auch Mut, um diese Reise anzutreten. Deshalb findet Initiation immer im Kreis von Männern statt. Niemand macht diese Reise alleine. Wir brauchen Unterstützung auf unserem Weg. Ein wichtiger Verbündeter ist für uns der Kreis der Männer, der dich trägt und stärkt. Die Einzelkämpfermentalität, die viele von uns gelernt haben, ist für diese Reise nicht förderlich.
Wichtige Fragen
Wenn Du dich auf deine Reise begibst, geht es um die Beantwortung folgender zentraler
Fragen:
- Wer bin ich?
- Wo will ich hin?
- Mit wem?
Bei der ersten Frage geht es darum, herauszufinden, wer Du jenseits aller erlernten Glaubenssätze und Verhaltensmuster wirklich bist. Welches Wesen steckt hinter der Form, die durch Rollen und Masken repräsentiert wird?
Die nächste Frage bringt dich mit dem Sinn deines Lebens in Verbindung. Was willst Du in diesem Leben erwirken? Was ist dein innerer Ruf? Weshalb hast Du hier auf der Erde inkarniert? Welchen nachhaltig positiven Fußabdruck möchtest Du hinterlassen, wenn Du diesen Planet eines Tages verlässt?
Mit der dritten Frage kommen wir in den Bereich unserer Liebesbeziehungen. Wer ist der passende Mensch an deiner Seite. Mit wem willst Du durch dein Leben gehen?
Für uns Männer ist es bedeutsam, die vorstehenden Fragen in der angegebenen Reihenfolge zu beantworten. Machen wir das nicht, kann uns das durchaus auf Wege führen, die unserer Entwicklung nicht dienlich sind oder diese verzögern. So ist es auch mir ergangen. Ich habe mir viele Jahre erfolglos die Frage gestellt, wo ich hin will, ohne darüber nachzudenken und zu erforschen, wer ich wirklich hinter der äußeren Form bin.
Weitere Fragen, die sich im Kontext von Initiation stellen, sind beispielsweise:
- Welche Schlüsselerlebnisse brauchst Du, um deine Identität als Mann zu finden?
- Was bedeutet Mann-Sein für dich?
- Wie dient männliche Initiation der Gemeinschaft?
- Wie lebst Du Verbundenheit und Freundschaft zu anderen Männern?
- Wie bist Du ein spiritueller Mann?
- Welchen Wert hast Du als Mann in Familie und Gesellschaft?
- Vertraust Du deiner männlichen Kraft?
- Kannst Du deine eigene Schönheit und Würde sehen?
Wenn Du Antworten auf die in diesem Abschnitt genannten Fragen findest, werden Veränderungen in deinem Leben notwendig sein.
Veränderung
Weshalb können grundlegende Veränderungen in deinem Leben überhaupt nötig sein? Die Antwort hängt damit zusammen, dass wir in unserer frühen Kindheit unsere wesentlichen Prägungen und seelisch/emotionalen Verletzungen erhalten, welche zu Verhaltensmustern und Glaubenssätzen geführt haben, die zur Zeit ihrer Entstehung absolut richtig und teilweise sogar überlebenswichtig waren. Für erwachsene Männer sind sie jedoch häufig nicht mehr angemessen und behindern oft unsere Entwicklung oder schränken sogar unsere Lebensqualität ein.
Erkennst Du dies, begegnest Du dem initiatischen „Stirb und Werde“ welches bedeutet, dass beispielsweise falsche Glaubenssätze und schädliche Verhaltensmuster sterben dürfen oder unfrei machende Abhängigkeiten aufgelöst werden sollten, um Neuem Platz zu machen. Setzt Du deine Erkenntnisse um, gewinnst Du dadurch Macht über dein Leben zurück.
Wenn Du durch ein Initiationsprojekt gehst, wirst Du auch neues Wissen über dich erlangen. Das reicht jedoch nicht aus, um nachhaltig Veränderung herbeizuführen, da alte Verhaltensmuster und Glaubenssätze sowie Abhängigkeiten sehr stark sein können. Im ersten Folgeschritt geht es um Erkennen. Dabei befindest Du dich noch auf der kognitiven, also rationalen Ebene. Es ist jedoch wichtig, darüber hinaus zu gehen, indem Du fühlst, was in deinem Körper geschieht, welche Gefühle sich zeigen und diese auch anzunehmen. Hier ist also bereits dein Körper beteiligt, so das wir von „begreifen“ sprechen können.
Der Initiationsprozeß entfaltet aber erst dann seine größte Wirkung, wenn Du in den Zustand des Verstehens kommst. Damit meine ich, dass die neuen Wahrheiten, die Du erkannt hast, dein gesamtes Wesen durchfluten und Du damit eine solide Möglichkeit hast, Veränderungen in deinem Leben zu realisieren. Ich sehe es als meine Aufgabe, Männern durch Übungen und andere Erfahrungen die Möglichkeit zu eröffnen, in den Zustand des Verstehens zu kommen. Eine Initiation versetzt dich in die Lage oder öffnet dir zumindest den Weg dorthin, als Mann authentisch zu leben, also ein kraftvolles Leben zu führen, in dem Fühlen, Denken und Handeln übereinstimmen. Du wirst dadurch frei, deinen inneren Ruf zu hören und ihm zu folgen.
Archetypen
Wenn wir uns mit Initiation befassen, müssen wir uns natürlich den männlichen Archetypen zuwenden. Archetypen sind Elemente des kollektiven Unbewussten und Wirklichkeiten unserer Seele. Sie sind mit verschiedenen Qualitäten verbunden und gekennzeichnet durch ein Spannungsfeld, in dem das Leben uns bewegt sowie einen Essenzaspekt.
Essenzaspekte sind Wirklichkeiten unserer Seele, die unabhängig von äußeren Bedingungen jederzeit erfahrbar sind. Oft haben wir allerdings den Kontakt dazu verloren, sodass es Teil der Initiationsarbeit ist, den Zugang dazu wiederherzustellen. Die klassischen Archetypen sind
- Krieger
- Liebhaber
- Magier
- König
Die mit den Archetypen verbundenen Qualitäten können wir sowohl positiv als auch negativ entwickeln. Anzustreben ist natürlich die positive Entwicklung, da nur sie uns dabei unterstützt, ganz zu werden und in unsere männliche Kraft zu kommen.
In einem Folgeartikel werde ich die einzelnen Archetypen detailliert beschreiben.
Rituale
Initiationen und auch Initiationsabschnitte enden sinnvollerweise immer mit Ritualen. Diese stellen ein ganz wichtiges Element dar, weil im Ritual das während des Prozesses Erarbeitete gebündelt und verdichtet wird. Dies unterstützt uns auch dabei, auf die oben beschriebene Ebene des Verstehens zu gelangen und hilft bei der Rückbindung an das Große Ganze.
Das Ende der Initiation
Initiation ist nichts, was Du einmal machst und damit abgeschlossen ist. Wenn Du ein Initiationsprojekt vollständig durchlaufen hast, wird deine Reise weitergehen. Damit will ich ausdrücken, dass Du mit den verschiedenen, während der Initiation behandelten, Aspekten im Laufe deines Lebens immer wieder als Entwicklungsthemen in Berührung kommen wirst; dann allerdings auf einer tieferen Ebene, da Du an Verständnis gewonnen hast.
Vielen Dank, lieber Wilhelm für diesen tollen Artikel. Eine Initiation ist ein wichtiges Ereignis im Leben eines Mannes und findet in der Regel nicht mehr bei bei uns im Jugendlichenalter statt. Um so wichtiger, dass es heute Männer gibt, die andere Männer darin begleiten. Aho! Tom