Als ich mich nach dem Abend im Spiegel anschaue, staune ich, welche Frau mir entgegenblickt: sie leuchtet. Ihre Augen strahlen, ihr Gesicht ist überzogen von einem breiten Lächeln. Sie sieht fast aus, als explodiere sie fast vor Freude und Glück. Und nicht nur sie – auch mein damaliger Partner strahlt.
Es war der Tag, als wir in einem Seminar rund um achtsame Sexualität und Partnerschaft einen Frauen- und Männerkreis erlebt hatten: Am Mittag wie am Abend gab es für zwei Stunden einen Kreis der Frauen und einen Kreis der Männer unter sich.
Themen: Alles, was uns als Männer wie als Frauen rund um das Thema Partnerschaft, Sexualität, Miteinander und unseren eigenen Weg bewegte. Danach kamen beide Gruppen wieder zusammen. Die Veränderung war verblüffend: Es war ein achtsames, zartes und zugleich unendlich kraftvolles aufeinander Zugehen.
Was mich am meisten erstaunte: Frauen wie Männer wirkten viel klarer, ganz in ihrer Kraft. Weil ihnen der Kreis Raum gegeben hatte, sich zu zeigen und zu sein mit den Themen, die sie bewegten. Weil sie gehört, wahr- und ernstgenommen wurden. Weil sie sein durften.
Jetzt strahlten sie eine Kraft aus, die sagte: Hier bin ich. Hierfür stehe ich ein. Das ist mir wichtig. Das sind meine Stärken und das ist meine Verwundbarkeit. Und ich stehe hier mit diesem Starken wie Verletzlichen und gehe auf dich zu. Das hat Kraft.
Ein neues Wir
Für ein neues Wir, habe ich das einmal genannt. Das neue Wir macht für mich in sich starke wie verletzliche Männer und Frauen aus. Männer und Frauen, die wissen, wofür sie einstehen, was ihre Werte sind, was ihnen wichtig ist, was sie begeistert und wofür sie brennen. Die um ihre Verletzungen aus der Kindheit, um das, was sie berührbar macht, wissen. Die gelernt haben, mit ihren Gefühlen umzugehen, sie zu zeigen, zu benennen, und in Kontakt zu gehen und zu bleiben.
Ich weiß, dass das schon unter Frauen (und da kann ich von meiner Erfahrung in der Leitung von Frauenkreisen seit zehn Jahren sprechen) herausfordernd ist – erst einmal mich selbst zu erkennen: Wer bin ich eigentlich? Was will ich? Was ist mir wichtig? Und dies in einem Frauenkreis in den Austausch zu bringen: Zu benennen, was meine Bedürfnisse sind, meine Grenzen zu setzen und für mich einzustehen.
Kommt dann noch die Begegnung mit einem Mann dazu, kann das nochmals herausfordernder werden: Darf ich zu mir stehen? Wird er mich ablehnen? Kann ich mich zeigen, wie ich bin? – sind Fragen, die Frauen bewegen. Und ich weiß aus den Gesprächen mit Männern, dass die Fragen, die Männer in der Begegnung bewegen, ganz ähnlich sind.
Mir scheint, der Kreis hebt das ein Stückweit auf. Frauen werden im Frauenkreis gefestigt. Männer im Männerkreis. Begegnen beide dann einander wieder, fällt die Bedürftigkeit, das Müssen und Wollen, von ihnen ab. Es herrscht eine Klarheit. Eine innere Stille und Strahlkraft. Eine Begegnung auf Augenhöhe, die möglich wird. Ein Wir, bei dem beide in ihrer Kraft sind und sich aus dieser Kraft begegnen.
Kraft des Vertrauens und der Verbundenheit
Ich meine damit nicht, dass Männer wie Frauen sich nicht mehr schwach zeigen dürfen oder sollen. Doch vielmehr, dass sie dieses Schwachsein, die Verletzlichkeit und den Wunsch, sich anzulehnen, bewusst benennen können. Dass sie es in einen erwachsenen Austausch bringen, statt in ein Klammern, so dass ein erwachsenes Miteinander möglich wird.
In einem anderen Kontext, einer Stimm-Ritual-Gruppe im vierzehntägigen Rhythmus, jeweils für Männer und Frauen, habe ich ähnliche Erfahrungen in Verbindung mit der Stimme und dem Singen gemacht.
Ein Paar leitet jeweils an zwei Orten zur gleichen Zeit eine Frauen- und Männergruppe, bei denen Lebensthemen mit Liedern und Ritualen bewegt werden: Jemand aus der Familie ist gestorben, ein Mann wird Vater, ein anderer verliert seine Arbeitsstelle – all das wird mit Tönen, Stimme, Liedern und Ritualen in Bewegung gebracht. Es ist eine große Kraft, ein Vertrauen und eine Verbundenheit, ein Miteinander, die so in der Gruppe, die über längere Zeit zusammen unterwegs ist, wachsen.
Zur gleichen Zeit, an anderem Ort, treffen sich die Frauen. Gleicher Inhalt, gleiche Ausrichtung. Dann kommen die Männer zweimal im Jahr zu den Frauen zu Besuch. Die Frauen öffnen den Raum für die Männer. Es ist ein großes Hallo und Miteinander: Männer, die sich zur Begrüßung herzlich und intensiv in den Armen liegen, die miteinander lachen, einander bestärken und eng beieinandersitzen. Frauen ebenso.
Orgasmus der Stimmen
Dann der Kreis. Frauen drumherum, Männer in der Mitte. Die Frauen singen für die Männer. Bestärken sie, halten sie, geben ihnen Raum. Dann wechselt es: Die Frauen sitzen und liegen in der Mitte, die Männer stehen um sie herum, singen und stärken ihren Raum. Zum Abschluss: Ein Wechselspiel der Stimmen und ein Miteinander.
Es ist so eine großartige Kraft, die hier spürbar ist. Weil im Besungen werden und Besingen, die jeweils eigene Kraft von Frauen und Männern für sich und füreinander hervortritt. Weil im Wechselspiel des Singens die unterschiedlichen Kräfte gleichzeitig nebeneinanderstehen. Weil im miteinander Singen sich jedes Wechselspiel wieder aufhebt und zu einem großen Ganzen verschmilzt. Ja, vielleicht ist es wie ein großer Orgasmus, nur mit Stimmen.
Dass ist auch etwas, was mir geblieben ist, von dem Seminar rund um achtsamkeitsbasierte Sexualität und Partnerschaft: Die Runde, in der Frauen und Männer benannt haben, was ihnen im Sex am wichtigsten ist. Der Haupttenor, in der Tiefe, war das Wort Verbunden sein.
Die Sehnsucht, einander neu zu begegnen
Ich glaube, es ist eine Sehnsucht, die in uns allen steckt und die uns prägt. Nach der wir uns verlangen und die wir leben wollen. Vielleicht sind Kreise eine Form – Männer- und Frauenkreise für sich, die dann gemeinsam einen neuen Raum kreieren –, wo wir dieses Verbunden sein neu leben können. Wo wir uns selbst in unserer Größe und Kraft erfahren können – und aus dieser Größe und Kraft heraus in Verbindung gehen können mit dem anderen Geschlecht (wie auch mit anderen Männern).
Vielleicht ist es ein Weg, Miteinander zu üben und auszuprobieren: Was verändert es für mich, in einem reinen Männerkreis zu sein? Wie fühlt es sich an, aus dieser Kraft, diesem Verbunden sein mit mir und den Männern, Frauen neu zu begegnen?
Vielleicht verändert es etwas. Vielleicht ein ganzes Weltbild. Dein Empfinden von dir. Und vielleicht entsteht die Sehnsucht, solch neue Räume noch tiefer zu leben, mit Leben zu füllen und selbst zu kreieren.
Weiterführende Links: Kreise, Bücher, Seminare:
Slow Sex-Seminare für Paare in Deutschland – achtsamkeitsbasierte Sexualität und Partnerschaft
www.paarweise.info
Diana Richardson, Entwicklerin des Making Love-Retreats, und ihre wertvollen Bücher rund um Sexualität, Partnerschaft und den heilsamen Umgang mit Gefühlen (Buch: „Zeit für Gefühle“)
www.loveforcouples.com
Stimm-Ritual-Gruppe für Männer in Winterthur (CH)
www.tschatscho.ch/maennergruppe
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