1. Vorwort
Diesen Text habe ich als Abschlussarbeit des Trainings ‘Aruna Aufbautraining’ von April bis Juni 2004 erarbeitet. Ich habe mir dieses Thema gewählt, weil ich darin für mich grosses Wachstumspotential erhoffe.
2. Einleitung
Mir wird immer deutlicher, wie schwer es uns Männern fällt, Ausrichtung und Erfüllung im Leben zu finden. Deshalb suchen offensichtlich mehr und mehr Männer Leitlinien, Einsichten und Entwicklungsmöglichkeiten für das eigenen Mannsein. Wer jenseits der gängigen Rollen-Angebote sucht, wird wohl früher oder später auf den großen Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung und seine männlichen Archetypen stossen.
C. G. Jung hat über Jahrzehnte in seiner therapeutische Arbeit mit Träumen und Vorstellungen seiner Patienten gearbeitet sowie Mythen, Märchen, Religionen und Kunst untersucht. Dabei hat er entdeckt, dass in allen Geschichten der Menschheit die gleichen grundlegenden Reaktionsmuster und Verhaltensweisen auftauchen. Er hat diese Verhaltensweisen untersucht und ist auf etwas gestoßen, was er dann Archetypen genannt hat.
Archetypen sind energiegeladene Bilder aus dem, was C. G. Jung das kollektive Unbewusste nennt, einer unbewussten Schicht der Psyche, die alle Menschen in sich tragen. In dieser Schicht sind die Grund-Erfahrungen der Menschheit gespeichert, sozusagen unser gemeinsames Stammesgedächtnis. Sie sind die Urbilder, die Handlungs- und Reaktionsmuster, die sich in uns Menschen über Jahrtausende hinweg gebildet und fortentwickelt haben. Über den Kontakt mit den Archetypen haben wir Zugriff auf diese Verhaltensmuster, können in die eigene Tiefe gelangen und uns wie auch andere besser verstehen. Wenn uns die Energie der Archetypen zugänglich ist, kann diese uns helfen, in Krisen-Situationen angemessen zu reagieren, kreative Wege für unsere Entwicklung zu finden und letztendlich unser Leben zu meistern.
Es gibt grundsätzlich sehr viele solche Energiebilder und Verhaltensmuster, doch im Laufe der weiteren Forschung von Jung-Nachfolgern haben sich vier großen männlichen Archetypen herauskristallisiert, die scheinbar in allen Kulturen und Zeiten vorkommen. Für die männliche Seite sind dies:
Liebhaber, Krieger, Magier und der König.
Jeder dieser Archetypen kann im Menschen sowohl in der vollentwicklten, “gereiften” Fom als auch in ungereiften, “Schatten-” Form vorkommen. Alle Archetypen haben zwei gegensätzliche (bipolare) Schattenformen. Ein Plus-Pol entsteht durch übertriebene Ausprägung der Qualitäten des jeweiligen Archetypen, der Minus-Pol durch das weitestgehende Ausgrenzen dieser Qualitäten. Die drei Ausprägungsformen der Krieger-Energie zusammen kann man sich in einem Dreieck angeordnet vorstellen:
voll entwickelte Form
dysfunktional untertriebene Form (+) (-) dysfunktional übertriebene Form
Entscheidend für die volle Entwicklung der Archetypen in einem Mann ist natürlich, wieviel Unterstützung, Initiation und Vorbild von Männern er als Junge erfährt. Viele Jungen durchlaufen diesen Reifungsprozess nur unvollständig und bleiben in der unreifen, für den erwachsenen Mann dysfunktionalen Ausprägung als ‘Junge im Männerkörper’ stecken. In dieser Erkenntnis und der Auseinandersetzung mit den Archetypen liegt aber auch Chance und Hoffnung: über das Erforschen und Annehmen der voll entwickelten Form der männlichen Archetypen kann Mann ausgebliebene Entwicklung nachholen und so ein gereiftes männliches Selbst entwickeln.
In vielen Märchen und Mythen zieht ein Held aus, um den kranken König oder das gefährdete Königreich zu retten. Dazu muss er sich auf eine Reise begeben, und viele Gefahren meistern. Dazu muss er kämpfen und listig sein wie ein Krieger, braucht die Hilfe eines Zauberers oder einer anderen magischen Gestalt, muss seine Liebe zur Natur und zu den anderen Menschen zeigen, um die Bedrohung zu besiegen und mit einem Schatz heimzukommen. Zumeist wird der Held damit selbst zum König und kann sein Leben meistern.
Bei genauer Betrachtung finden wir uns selbst immer wieder in schwierigen, bedrohlichen Lebens-Situationen und müssen uns auf den Weg machen, um das eigene Königreich zu retten, sei es im Arbeitsumfeld, in Familie oder Beziehung, oder es geht um die eigene Gesundheit. Natürlich wünschen wir uns dann, der Held der eigenen Lebensgeschichte zu sein. Wenn wir auf diese Reise
gehen, dann benötigen wir Krieger-, Magier- und Liebhaber-Energie, um die Drachen (unsere Ängste und Sorgen, Probleme und Widerstände) besiegen zu können, und unseren Schatz (unser wahres Selbst) zu finden und König zu werden (unser Leben meistern).
Am Beginn so einer Reise wird der Archetypus der Kriegers am dringlichsten gebraucht. Aber die Krieger-Energie hat in unserer Gesellschaft nicht zuletzt durch die vielen Kriege und Konflikte der letzen 100 Jahre und die Rücksichtslose Ausbeutung des Planeten einen sehr schlechten Ruf. Aber trotz all dieser Ausbrüche negativer Krieger-Energie dürfen wir nicht übersehen, dass wir die Krieger-Energie in unserem Leben unbedingt brauchen. Auch verschwindet ungelebte Krieger-Energie nicht einfach, sondern taucht in den Schatten-Formen wieder auf und fordert so ihren Tribut.
Die positive Krieger-Energie hilft uns, Hindernisse zu überwinden und Opfer zu bringen um auf dem Weg zu bleiben. Der Krieger ist es, der weiß dass es Dinge gibt, für die es sich lohnt sich anzustrengen, zu leiden und Verluste hinzunehmen. Er richtet sich auf ein Ziel aus, und hat dadurch Kraft und Entschlossenheit, durchzuhalten und Entscheidungen zu fällen und dabei auch Fehlentscheidungen und Rückschläge auszuhalten. Der Krieger bewacht und verteidigt die Grenzen. Ohne Kriegerenergie sind wir allen inneren und äusseren Angriffen schutzlos ausgeliefert, erst der Krieger kennt und bewahrt die Grenzen, die niemand übertreten darf. Ohne Kriegerenergie ist uns auch keine klare Unterscheidung möglich zwischen Feind und Freund, Ehrlich und Unehrlich, Eigen und Fremd.
Es ist wichtig, im Auge zu behalten, dass es nicht Ziel der Entwicklungsarbeit von C.G. Jung ist, eine archetypische Energie allein zu entwickeln und idealisieren, sondern alle vier Archetypen in Balance zu bringen und miteinander zu integrieren. Von allen Archetypen scheint die Krieger-Energie gesellschaftlich mit den stärksten Bewertungen beladen zu sein und es finden sich im öffentlichen Leben immer weniger positive Vorbilder und Entwicklungs-Möglichkeiten für diese Energie, die damit zusehend ins Schattendasein absinkt. Ich selbst fühle Angst und Widerstand bei der Auseinandersetzung mit diesem Archetypen und weiss zugleich, wie sehr ich den Schattenseiten der Krieger-Energie in meinem Leben ausgeliefert bin. Mit zunehmendem Alter muss ich erkennen, dass ich dadurch wichtige Qualitäten für ein erfülltes männliches Lebens schmerzlich vermisse. Deshalb habe ich begonnen, die Krieger-Energie zu verstehen und erspüren damit ich soviel wie möglich von der voll entwickelten Form in mich Leben hineinzulassen.
3. Beschreibung des Krieger-Archetyps
3.1. Herkunft und Symbolik
Seit Menschen sich in Gemeinschaften zusammenschliessen, gibt es Krieger, und auch im Tierreich ist die Krieger-Energie kaum zu übersehen. Weil Jahrhundertelang das Schwert die hauptsächliche Waffe von Kriegern war, ist es zum Symbol für diese Energie geworden. Das Schwert kann nicht nur verletzen und töten, sondern es kann auch beschützen und gut von böse, links von rechts und wahr von unwahr trennen.
In der griechischen Mythologie wurde Ares, Sohn des Zeus und der Hera, als Kriegsgott verehrt. Bei den Römern bekam derselbe Kriegsgott den Namen Mars, bei den Germanen war Wotan bzw.
Odin für das Kriegsgeschäft zuständig. In Japan sind die Samurai als Soldaten mit hohem Ideal und Vervollkommnung ihrer Kampfeskraft als Vorbild für die voll entwickelte Krieger-Energie anzusehen (Bushido = Weg des Kriegers).
3.2. Die voll entwickelte Form des Kriegers: positive Qualitäten
Die Energie des Kriegers steht für Durchsetzung, Kraft, Schutz und das Setzen und Bewachen von Grenzen. Er spricht nicht viel, sondern handelt schnell, effizient und zielbewusst. Er bedient sich Taktik und Strategie, um konsequent seine Ziele zu erreichen. In westlichen Gesellschaften ist es Soldaten, Managern oder Sportlern noch am ehesten zugestanden, Krieger-Energie zu verkörpern. In allen Beschreibungen der Krieger-Energie werden ähnliche Qualitäten aufgeführt, die ich im folgenden zu Gruppen zusammengefasst habe.
3.2.1. Qualitäten: Klarheit und Wachheit
Grundvoraussetzung für die Entfaltung der Krieger-Energie ist und war Wachheit und Klarheit von Wahrnehmung und Bewusstsein. Für den Jäger auf der Beutesuche genau wie für den Soldaten im Krieg ist diese wache und ungetrübte Wahrnehmung der Situation unverzichtbar für Überleben und den Erfolg der Mission. Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich auch über längere Zeit konzentrieren zu können ohne sich ablenken oder beeinflussen zu lassen sowie die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden.
3.2.1. Qualitäten: Mut und Entschlossenheit
In Gefahren- und Konfliktsituationen ist eine schnelle Entscheidung und Handlung ohne Zweifeln und Zögern gefragt. Dazu gehört vor allem die Bereitschaft, Risiken einzugehen und seelische wie körperliche Unbequemlichkeit ohne inneren Widerstand zu ertragen. Wo Helden jedoch oft Angst und Schmerz vermeiden wollen, um mutig zu erscheinen, so nimmt der Krieger diese Gefühle ungemindert wahr, ohne sich aber dadurch von Entscheidungen oder seinem Ziel abbringen zu lassen.
3.2.1. Qualitäten: Geschicktheit, Flinkheit und Virtuosität
Da der Krieger sich kompromisslos seinem Ziel widmet, so wird er alles, was ihn diesem Ziel näher bringt zu voller Blüte entwickeln. Typisch dafür die Waffen- und Körperbeherrschung der Samurai-Kämpfer sowie Karate-Kämpfer. Dasselbe gilt für den modernen Business-Krieger, der sich den Umgang mit den Kommunikations- und Organisations-Werkzeugen so erarbeitet, das er sie beherrscht, ohne sich dadurch von seinen eigentlich Aufgaben ablenken zu lassen. Dabei dient der virtuose Umgang mit den Waffen und Werkzeugen sowie die Beherrschung vom eigenem Geist und Körper nicht dem Bedürfnis nach Bestätigung, sondern allein dem effektiven erreichen der selbstgesteckten Ziele. Zu Geschicktheit und Virtuosität gehören deshalb auch der sparsame Umgang mit Zeit, Energie und Aufmerksamkeit.
3.2.1. Qualitäten: Kompromisslosigkeit und Durchsetzungsvermögen
Ein Krieger geht Gefahren und Auseinandersetzungen frontal an und ohne zu Grübeln oder Auszuweichen. Es ist nicht der Weg des Kriegers, halbe Sache zu machen oder der Bequemlichkeit halber das Ziel aus den Augen zu verlieren. Aus dem festen Glauben an das Ideal, dem sich der Krieger gewidmet hat, entsteht grosse Beharrlichkeit eine die ungeteilte Kraft, die auch grosse innere und äussere Widerstände überwinden kann.
3.2.1. Qualitäten: Verantwortung und Aufrichtigkeit
Ein Krieger setzt seine Lebensenergie ein für eine Sache, die grösser ist als er selbst. Daraus gewinnt der Krieger Abstand zu eigener Kleinlichkeit und persönlicher Verletztheit. Entscheidungen und Handlungen sind direkt mit einem Vorteil für die Sache bzw. das Ideal verbunden und somit weitestgehend frei von persönlicher Gier und Hintergedanken. Die Übereinstimmung von Absicht und Handlung wiederum wirkt Aufrecht und Autentisch.
3.2.1. Qualitäten: Loyalität und Hingabe
Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem Tun eines jugendlichen Helden und dem eines Kriegers ist die Motivation: ein Held will Ruhm und Ansehen für sich gewinnen, ein Krieger ist nur Krieger, wenn er für eine überpersönliche Sache eintritt, z.B. einen König oder ein Ideal. Und gerade diese Haltung, persönliche Belange hinter ein grösseres Ziel zurückzustellen gibt dem Krieger wirkt als Hingabe und Loyalität jenseits eigener Kleinlichkeiten.
3.2.1. Qualitäten: Ungebundenheit und emotionale Losgelöstheit
Um die eigene Energie einer Sache uneingeschränkt widmen zu können, ist es für den Krieger wichtig, in seinen persönlichen Beziehungen ungebunden und nicht verwickelt zu sein. Sein übergeordnetes Ziel ist wichtiger wie Bindungen oder persönliche Zuneigungen. Nur so kann ein Krieger zu klaren Entscheidungen und Handlungen kommen, ohne sich ständig dafür um die Zustimmung seiner persönlichen Umgebung bemühen zu müssen. Ein Mann, der vorrangig seine Krieger-Energie lebt, wird daher oft beziehungunfähig oder -unwillig sein.
Danksagung
Grosser Dank gebührt meinem Vater, der mich gezeugt hat auf seine unvollkommene Weise mein Vater war und ist. Ich danke ihm besonders dafür, dass er mir seit vielen Jahren seine Unterstützung und Freundschaft gewährt und mich an seiner inneren Schönheit teilhaben lässt, die jetzt in seinem hohem Alter klar und unübersehbar durch die dünn gewordene Hülle scheint.
Seit meiner ersten Begegnung in der Männergruppe vor 7 Jahren war mir Bali Vorbild, Helfer und manchmal auch Freund auf meinem Weg. Er hat mich inspiriert, für mein Mannsein einzustehen und aus seinen Teachings und Hinweisen sind viele meiner Entscheidungen und Visionen gewachsen. Danke, Bali !
Literatur und Quellen:
Moore, Robert & Gilette, Douglas (1990). König Krieger Magier Liebhaber : Die Stärken des Mannes. Kösel Verlag.
Tom van der Kroon: Die Rückkehr des Löwen
Manfred Twrznik: Aufbruch zum Mann
Erinnerungen und Aufzeichnungen meiner Teilnahme an der Männer-Gruppe bei Bali
Es öffnet mir Dinge in meinem Sein und meiner Männlichkeit, ich wünsche mir ein weiteres Wachstum zu meiner Identität.