Liebhaber
Spannungsfeld: Individualität – Intimität
Essenzaspekt: Liebe, Freude
„Entzücken ist das Wesen der Welt und dasjenige, was uns dem göttlichen Zustand nahebringt.“ (Alain Daniélou (1907 – 1994, französischer Musikwissenschaftler, Historiker, Indologe, Autor und Hochschullehrer)
Mit dem vorstehenden Zitat ist bereits sehr viel über diesen Archetypen ausgesagt, bei dem es im Wesentlichen um zwei Themen geht: unsere Leidenschaften und unsere Liebesbeziehungen.
Jeder Mann sollte, unabhängig von seiner Ehe/Partnerschaft, eine Leidenschaft haben. Das Wort impliziert, dass Leidenschaft etwas mit Leiden zu tun hat. Das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache zeigt uns, dass dies ursprünglich auch einmal so war.
Leidenschaft f. () ‘intensive, das gesamte Verhalten bestimmende und vom Verstand nur schwer zu steuernde emotionale Reaktion’, namentlich ‘heftige Zuneigung zu einer Person, ausgeprägter Hang zu bestimmten Tätigkeiten oder Dingen’, Mitte des 17. Jhs. aufkommendes, jedoch erst im 18. Jh. geläufiges Übersetzungswort für frz. ( ) passion, auch für frz. ( ) passibilité (dieses eigentlich ‘Leidens-, Empfindungsfähigkeit’, vgl. lat ( ) passio ‘Leiden’, spätlat. ( ) ‘Empfindsamkeit’, spätlat. ( ) passibilitäs ‘Leidensfähigkeit’); Ableitung mit dem Kompositionssuffix -schaft (/wb/etymwb/-schaft). (s. d.) vom substantivierten Infinitiv Leiden (wie Wissenschaft (/wb/etymwb/Wissenschaft), s. d.); dazu leidenschaftlich Adj. ‘von Leidenschaft getrieben, überaus heftig, von starker Zuneigung, großer Begeisterung erfüllt’ (18. Jh.).
Wenn wir die Ausübung unserer Leidenschaften übertreiben, kann dies auch wirklich Leid verursachen.
Leidenschaft
Was ist denn unter einer Leidenschaft zu verstehen? Eine Leidenschaft ist etwas, dem der Mann mit großer Begeisterung nachgeht, für das er brennt und alles tun würde. Er verschmilzt mit dem Objekt seiner Begierde, er vergißt Zeit und Raum, ist mit seiner Aufmerksamkeit völlig gefesselt und tut sich schwer, dem Ausüben seiner Leidenschaft nicht nachzugehen. Ein Mann kann eine oder mehrere Leidenschaften haben.
Die meisten Männer sind wie Gummibänder. Was meine ich damit? Nun, stelle dir um dich und deine Partnerin herum ein Gummiband vor, welches euch locker umschließt. Nun zieht es den Mann zu seiner Leidenschaft, was das Gummiband bildlich gesprochen unter Spannung bringt und ihn somit von seiner Partnerin entfernt. Der Mann geht nun seiner Leidenschaft nach und wenn er dieses nach seinem Empfinden genug getan hat, kehrt er zu seiner Partnerin zurück. Dadurch läßt die Spannung im Gummiband nach. Nun wendet er seine Aufmerksamkeit wieder der Partnerin zu und lebt die Zweisamkeit mit ihr. Nach gewisser Zeit, die natürlich individuell verschieden ist, zieht es den Mann wieder zu seiner Leidenschaft, wodurch das Gummiband zwischen ihm und seiner Partnerin erneut unter Spannung gerät. So geht es ständig hin und her. Für die meisten Frauen ist dies schwierig bis gar nicht zu verstehen und diese Tatsache zeigt deutlich das Spannungsfeld dieses Archetypen, in welchem uns das Leben zwischen dem Wunsch nach Individualität und Intimität hin und her bewegt.
Für jede Leidenschaftlichkeit ist Liebe die Grundlage. Der Liebhaber ist somit ein Liebender. Er ist ein sinnlicher Archetyp und gibt sich seiner Leidenschaft vollständig hin.
Der Liebhaber nimmt alles auf sich, um seine Leidenschaft zu leben und mit ihr zu verschmelzen. Die Leidenschaft kann auf wirklich alles bezogen sein, wie beispielsweise Sinnlichkeit, Genuß, Schönheit, Sexualität und Kreativität, jedoch nicht nur auf die materielle Welt, sondern auch auf geistiges und seelisches wie beispielsweise die Liebe zu Gott, wobei sich die Essenzaspekte dieses Archetypen, nämlich Liebe und Freude, auf vielfältige Weise ausdrücken. Der Liebhaber hat Eros, das heißt, dass er von der alles durchdringenden Lebenskraft erfüllt ist, die sich mit allem verbinden will. Deshalb verschmilzt er mit dem Objekt seiner Leidenschaft und wird Eins mit ihm.
Als Mann solltest Du niemals deine Leidenschaften aufgeben, denn sie geben dir Kraft. Ein klassisches Beispiel, das ich leider häufiger erlebe, ist dadurch geprägt, dass die Frau sich beklagt, ihr Mann habe zu wenig Zeit für sie. Der Mann, der daran interessiert ist, eine glückliche Frau zu haben und ihr ein guter Mann zu sein, geht seinen Leidenschaften nicht mehr nach in der Hoffnung, durch die zusätzlich für Zweisamkeit verfügbare Zeit seine Frau glücklich zu machen und die Partnerschaft zu verbessern. Beide wundern sich jedoch, dass die erwartete positive Wirkung ausbleibt und sich die Beziehung letztendlich verschlechtert. Die Ursache dafür liegt darin, dass dem Mann die durch das Ausleben seiner Leidenschaften gewonnene Kraft nun nicht mehr für die Partnerschaft zur Verfügung steht. Wenn Männer ihre Leidenschaft leben, dann können sie erfüllte Liebhaber ihrer Frau sein.
Viele Männer kennen ihre Leidenschaften überhaupt nicht. Das hat damit zu tun, dass die Kraft des Eros in der Menschheitsgeschichte stark domestiziert, unterdrückt und teilweise sogar verboten wurde. Beispielsweise wurde es als Zeitverschwendung angesehen, weil es im finanziellen Sinne unproduktiv sei oder nicht der Allgemeinheit diene, ja womöglich reinen Egoismus darstelle. Das stellt eine massive Abwertung dieses Archetypen dar.
Es ist übrigens völlig unerheblich, ob andere Menschen deine Leidenschaften befürworten oder nicht. Äußerungen wie beispielsweise „Das ist doch nichts für einen erwachsenen Mann.“ zeugen nur davon, dass der Betreffende nicht verstanden hat, was einen Liebhaber im archetypischen Sinn ausmacht.
Männer in der Ehe/Partnerschaft
Der Mann führt in der Beziehung. Damit ist nicht gemeint, dass Du der Frau vorschreiben sollst, was sie zu tun hat; so funktioniert erwachsenes liebevolles Miteinander nicht. Es geht darum, dass Du in der Beziehung eine Richtung vorgibst und deine Männlichkeit lebst. Falls dir nicht klar ist, was Männlichkeit bedeutet, lies meine vorhergehenden 4 Artikel zum Thema „Archetypen und ihre Bedeutung für unsere Entwicklung“ oder noch besser ist es, Du kommst direkt zu mir in das Initiationsprojekt. Wenn Du in deinem männlichen Pol bleibst und authentisch bist, kann die Frau dir vertrauen, sich fallen lassen und wird deine Führung akzeptieren. Dann kann sie ihre Weiblichkeit leben, also ganz Frau sein. Wenn beide ihren jeweiligen Pol leben, erhält das die Spannung aufrecht, die für eine funktionierende Beziehung von elementarer Bedeutung ist. Für Frauen ist es am wichtigsten das Gefühl zu haben, geliebt zu werden. Frauen und Männer agieren unterschiedlich. Frauen denken und handeln in Hinblick auf Beziehung während Männer dies in Hinblick auf Autonomie tun.
Versuche bei Frauen nicht, etwas darzustellen, was Du nicht bist. Frauen merken das sehr schnell. Es geht nicht darum, ein anderer zu sein, wenn Du mit einer Frau zusammen bist, sondern darum, das was Du bist, ganz zu sein. Erwarte auch keine Liebe und Anerkennung/Bewunderung von einer Frau, das wäre kindlich.
Ein wichtiger Teil in einer Beziehung mit einer Frau ist natürlich die Sexualität. Diese ist eine Triebkraft, die Leben stiften will. Sie ist eine positive und schöpferische Kraft, die der Arterhaltung dient. „Bei alten Völkern galt Blut als Träger des Geistes, der Kraft, der Seele. Wenn Blut den Penis aufrichtete, inkarnierte sich der Geist in den Körper. Die Lebenskraft – immer etwas Göttliches – betrat die profane Welt der Materie und des menschlichen Lebens. Das Resultat der Vereinigung, des Menschlichen mit dem Göttlichen, der Welt mit Gott, war stets schöpferisch und kräftigend. Die Vereinigung gebar neues Leben und neue Formen, neue Verflechtungen von Chance und Möglichkeit“ (Moore, Gillette 2018, S. 153).
Stehe zu deiner phallisch-aggressiven Kraft. Diese wird heute oft falsch verstanden und in der Folge wird geglaubt, dass sie durch viel feminine Präsenz ausgeglichen werden sollte. Dieser Ansatz stärkt jedoch weder den Mann noch die Frau, weil Beziehung von Polarität lebt und beide deshalb ihren jeweiligen Pol stärken sollten. Um Missverständnissen vorzubeugen: selbstverständlich sollte ein Mann sich auch mit seinen weiblichen Anteilen befassen und diese annehmen.
Männer sollten gegenüber Frauen nicht aus Bedürftigkeit handeln. Das schwächt ihren männlichen Pol.
Vielleicht fragst Du dich, wie Du deinen männlich-phallischen Pol stärken kannst. Gehe dazu in den Kreis der Männer. Dort bekommst Du, was Du auf dieser Ebene brauchst. Dies ist besonders für Männer essentiell, die von klein auf stark durch das Weibliche geprägt sind und keine oder nur wenige männliche Bezugspersonen hatten.
Der reife Liebhaber hat das Wesen der Liebe ergründet und sich ihrer Wirklichkeit gestellt. Dadurch ist ihm auf tieferer Ebene bewußt, was Liebe und Lieben in seinem Leben bedeutet. Wie jeder Einzelne die verschiedenen Facetten und Ebenen der Liebe erfährt, ist von unserer Wahrnehmungsfähigkeit und unserem Bewusstsein abhängig.
Wer diesen Archetyp integriert hat, folgt nicht sofort dem Impuls zum Ausagieren irgendeines Reizes. Wenn er beispielsweise eine schöne, begehrenswerte Frau sieht, genießt er das Gefühl, das sie in ihm auslöst und läßt die aufkommende Energie in sich zirkulieren. Das erfordert ein gewisses inneres Fassungsvermögen. Er hat verstanden, wieviel Verzicht für wahren Genuß nötig ist. Dieses Verhalten bezieht sich aber nicht nur auf Sexualität und Erotik, sondern betrifft viele Bereiche unseres Lebens. In dieser Hinsicht haben reife, ältere Männer manchmal einen Vorteil, denn sie gehen nicht so schnell wie jüngere in die Entladung ihrer Energie, sondern sind durch das ausgiebige Zirkulieren in der Lage, die ganze Höhe der Lust zu erleben und sie in ihrer Gänze zu fühlen. Der Lust ganz zuzustimmen, bedeutet, sie auch ganz nehmen zu können. Dazu braucht es den ganzen Körper, den ganzen Geist und die ganze Seele.
Der Schattenliebhaber
Eine Form des Schattenliebhabers ist der süchtige Liebhaber. Er läuft von einer Befriedigung zur nächsten und findet trotzdem keine wirkliche Erfüllung oder Befriedigung. Wenn ein Mann sich in seiner Leidenschaftlichkeit verströmt, schwächt und schadet er sich letztlich. So reduziert beispielsweise nach den Lehren des Taoismus jede Ejakulation die Lebensspanne eines Mannes. Jeder Orgasmus kostet Energie. Deshalb bezeichnen die Franzosen ihn auch als „Le Petite mort“, den kleinen Tod.
Der Schattenliebhaber verliert sich in einem Ozean der Sinne. Er ist von der Idee besessen, das Ausleben aller Reize könne für ihn zur Quelle von Heil und Leben werden, sofern er nur den Zugang dazu fände. Mitmenschen, die im Banne des Schattenliebhabers stehen, laufen Gefahr, zerstört zu werden.
Ein Mann, der diesem Schattenliebhaber verfallen ist, findet keine innere Ruhe und kann nicht aufhören, die Grenzen seiner Sinnlichkeit hinauszuschieben, egal wie hoch der Preis dafür auch sein mag. Er kann Begrenztheit nicht ertragen, doch braucht er genau diese am dringendsten.
So ist der Schattenliebhaber auch nicht in der Lage, tiefe menschliche Bindungen einzugehen, da er beispielsweise eine Frau nicht als ganzheitliches Wesen erfahren kann, also nicht als eine Einheit von Körper, Geist und Seele.
Der entgegengesetzte Pol des vorab beschriebenen Schattenliebhabers ist der impotente Liebhaber. Diese Form tritt auf, wenn wir uns ohne Kontakt zum integrierten Liebhaber fühlen. Er erfährt sein Leben meistens als leidenschaftslos und kalt. Ihm fehlen Schwung und Antrieb im Leben. Solche Männer verfallen in Depression und laufen Gefahr, chronisch depressiv zu werden, wenn sie permanent im Bann des impotenten Liebhabers stehen.
Ein weiteres Zeichen des impotenten Liebhabers ist das Fehlen eines bereitwilligen und eregierten Penis. Das Geschlechtsleben dieses Liebhabers findet entweder nicht mehr statt oder ist völlig schal geworden. Die Gründe dafür können vielfältig sein.
Der Zugang zum Liebhaber
Wenn Du nicht weißt, wofür Du brennst, verschaffe dir Klarheit über deine Leidenschaft. Erinnere dich daran, was dich früher immer in Freude und Begeisterung versetzt hat. Wenn dir das keine Klarheit bringt, kannst Du dich beispielsweise von allen Ablenkungen und deinem normalen Verhalten fernhalten. Insbesondere verzichte auf die Befriedigung deiner Süchte. Esse und trinke nichts und schlafe nicht, solange es geht. Am Besten gehst Du dafür raus in die Natur, nur mit dem Notwendigsten zum überleben ausgestattet. Öffne dich für alles, was kommen will und schiebe das dabei auftretende Leiden und die Ängste nicht beiseite. Beende diese Übung erst, wenn Du Klarheit gewonnen hast.
Diese Art der Isolation ist sehr wirksam und herausfordernd zugleich, aber es gibt auch einfachere Formen, die im Alltag anwendbar sind. Verbringe jeden Tag eine gewisse Zeit allein, also in Intimität mit dir selbst und ohne jede Ablenkung. Setze dich einfach zehn Minuten lang hin ohne unruhig zu werden, am Computer zu sitzen oder irgend etwas anderes zu tun. Sei einfach wie Du bist ohne zu versuchen, irgend etwas zu verändern. Öffne dich für alles, was kommen will und verweile in deinem dabei auftretenden Leiden, bis Du intuitiv erahnst, was deine Leidenschaft ist.
Literaturempfehlungen
- Der Weg des wahren Mannes, David Deida, J. Kamphausen Verlag & Distribution GmbH, Bielefeld 2006, ISBN 978-3-89901-089-3
- König Krieger Magier Liebhaber, Robert Moore & Douglas Gillette, Aurinia Verlag 2018, ISBN 978-3-95659-011-5
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