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Inneres Wachsen als Sinn des Weges zum Ältesten
Im vorangegangenen Teil schrieb ich, dass das Entstehen einer von innen her wachsenden Verantwortung für den Wandel der sozialen und ökologischen Verfassung der Welt davon abhängt, ob ich bereit bin, meine zerspaltene, desintegrierte Männlichkeit in eine integrierte, klare, weil authentische Männlichkeit zu wandeln – und das bis ins hohe Alter.
Man könnte diese Dialektik von innerem Wachsen und Wandel der sozialen und ökologischen Realitäten der Welt auf eine Formel bringen:
Je mehr Menschen lernen, sich sozial achtsam, respektvoll, hilfsbereit und ökologisch einfühlsam und verantwortungsvoll zu verhalten, desto vorbildlicher die soziale und ökologische Welt, in der die nachfolgenden Generationen heranwachsen und die Verantwortung dafür spüren, diese Qualität ihrer sozialen und ökologischen Welt zu bewahren und weiter zu entwickeln.
Bevor ich auf die Bedeutung dieser dialektischen Formel für mich als älter werdender Mann heute zu sprechen komme, der auf dem Weg ist, ein Ältester zu werden, möchte meinen Blick zurückwenden. Denn das, was mir heute wichtig ist, ist während der vergangenen Jahrzehnte meines Lebens in mir allmählich gewachsen.
Inneres Wachsen am persönlichen pädagogischen Auftrag
Die oben aufgewiesene Dialektik von Mensch und Welt war für mich in meinem früheren Beruf als Pädagoge von grundlegender Bedeutung: ein Paradigma meiner Sicht auf den wechselwirksamen Zusammenhang von innerem Wachsen und notwendiger Veränderung der sozialen und ökologischen Realitäten der Welt außerhalb wie innerhalb von Schule und Hochschule. Denn beider offenkundiger politischer Auftrag bestand (und besteht immer noch) darin, die jungen Menschen in die Welt, wie sie ist, einzupassen, anstatt sie zu befähigen, eine Welt hervorzubringen, wie sie sein sollte oder sein könnte.
Mein pädagogisches Projekt als Lehrer und Hochschullehrer bestand deshalb darin, die Welt durch eine Schule der Persönlichkeitsentfaltung zu verändern: aus der kleinen Welt des Klassenzimmers oder Seminarraums heraus. Dieses subversive Projekt einer humanen und biophilen oder ökologischen Bildung war überall dort wirksam, wo ich mit jungen Menschen gerade arbeitete.
Dabei machte ich die Erfahrung, dass mich dieses sehr persönliche Projekt immer wieder herausforderte, meine Erfahrungen mit mir selbst, mit den lernenden Menschen, mit Kolleginnen und Kollegen, mit der Administration, mit der verantwortlichen Politik zu reflektieren – das heißt: innerlich an diesem Projekt zu wachsen. Dadurch geriet mir mein Arbeiten selbst mehr und mehr zu einem persönlichen Bildungsprojekt. Denn ich hatte mich unentwegt neu auftretenden Fragen zu stellen, die sich aus meinen pädagogischen Aktivitäten ergaben. Fragen, die mich veranlassten, notwendiges Wissen heranzuziehen, um sie für mich und mein weiteres Arbeiten zufrieden stellend beantworten zu können: aktuelle Philosophie, Psychologie, Didaktik, Methodik, Neurowissenschaften, Lerntheorien u.v.a.m. verdichteten mehr und mehr mein Basisverständnis dessen, „was“ ich da tat und „wie“ ich es tat.
Inneres Wachsen an der Verantwortung für die Welt
Dabei wurde mir die Frage danach, „wie“ ich arbeitete, im Laufe meiner beruflicher Tätigkeit zur Schlüsselfrage nach meinem eigenen Lernen bzw. Arbeiten an mir selbst: nach meinem eigenen inneren Wachsen als Mensch. Um mich selbst besser zu verstehen – biographisch, sozialisatorisch, als Person und Individuum, als Vater, Großvater, als Lehrer, Bürger oder Weltbürger, als Zeitgenosse und als Bruder und Freund – vor allem aber als ein klarer, liebesfähiger und verantwortungsvoll lebender Mann in der bestehenden, ihres grundlegenden Wandels bedürftigen Welt.
Auf diesem Weg zu mir selbst, der sich konsequent aus meiner Praxis als Pädagoge ergeben hat und den ich nun weit über fünfzig Jahre lang als einen permanenten persönlichen Wandlungsprozess erlebe, wurde mir klar: dass es des Spürens einer Verantwortung für die Welt bedurfte, um zu mir hin finden und an mir selbst bzw. daran arbeiten zu können, der Mensch zu werden, der mit dazu beitragen kann, die bestehende Welt menschlicher, menschen- und lebensfreundlicher werden zu lassen – wie umgekehrt: meine persönliche Verantwortung für mich selbst und mein inneres Wachsen zu übernehmen, um das in die Welt zu tragen, worauf es mir ankommt und wovon ich überzeugt bin, dass es den problematisch gewordenen Zusammenhang von Menschheit, Welt und Planet zum Besseren verändern wird:
WIR MÜSSEN DER WANDEL SEIN,
DEN WIR IN DER WELT ZU SEHEN WÜNSCHEN.
Mahatma Gandhi
Inneres Wachsen als Spiritualität und Bedingung von Weisheit
Dieser kategorische Imperativ des großen Menschheits-Lehrers Gandhi gilt für mich über die Frage nach meinem Älterwerden hinaus, weil er mich, solange ich leben werde, aufrufen wird, genau hinzuschauen, ob ich das, was ich in und an der gegenwärtigen Wirklichkeit der Welt oder der Menschheit mir anders wünsche, selbst lebe oder zu leben bemüht bin – und dies immer so gut ich das eben kann. Eine solche geistig-seelische Grundhaltung ist Ausdruck lebendiger Spiritualität und umfassender Weisheit. Sie repräsentiert zugleich die Wirksamkeit der archetypischen Energien des Mannes – hier insbesondere des Mannes, der bewusst älter wird und auf dem Weg ist, ein Ältester zu werden. Hierauf werde ich im sich anschließenden vierten Teil tiefer eingehen.
Abschließend mag es genügen, wenn ich die Begriffe „Spiritualität“ und „Weisheit“ – im Kontext meiner bisherigen Ausführungen zu meinem inneren Wachsen und Älterwerden – näher bestimme.
Spiritualität und Weisheit bilden für mich eine unauflösliche Einheit: Spiritualität (als ganzheitliche Geisteshaltung) findet in Weisheit (als einsichtsvolle Klugheit) ihren lebenspraktischen Ausdruck. Umgekehrt bringen Weisheit oder Weise-sein (im Sinne spirituell begründeten Handelns) spirituelles Bewusstsein hervor, erweitern und vertiefen es.
Spiritualität, so der Publizist Gert Scobel in seinem Buch „Weisheit“ (2017, 2.Aufl., S. 120) „ist eine Art und Weise des Nachdenkens und Lebens im Angesicht der Tatsache, dass wir vergänglich sind“; ich ergänze: und dass alles Leben vergänglich ist.
Weisheit, so derselbe Autor anderer Stelle des genannten Buches, „ist … dasjenige menschliche Verhalten, das am besten geeignet ist, mit der komplexen Vielfalt der Welt erfolgreich umzugehen … Weisheit ist die ideale Antwort auf die Komplexität der Einheit allen Lebens“. (S, 121)
Auf meinem Weg zu einem Ältesten sehe ich deutlich, dass mit meinem Älterwerden mein inneres (spirituelles) Wachsen an der (weise geführten) Auseinandersetzung mit der Welt nicht weniger wird und in seiner Qualität zunehmend anders: tiefer greifend, höher sich erstreckend, weiter reichend – oder: spirituell, weise und einheitlich.
Über dieses andere, reifere Umgehen mit sich selbst und dem eigenen Älterwerden geht es im abschließenden vierten Teil:
Einladung an älter werdende Männer
Mit kraftvollen Grüßen von Mann zu Mann,
Euer Hans Raimund Aurer
Certified Ritual Elder des Mankind-Projects International
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