Ein Kapitel aus dem Buch “Mannsbilder” von Boris Halva
Verlag: Komplett Media GmbH
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Es wird viel über die zweifelnden, die erschöpften Männer gesprochen. Die Männer, die nicht mehr weitermachen wollen wie bisher. Die schon seit Längerem spüren, dass was passieren, dass was anders werden muss. Aber wo sind sie, diese Männer?
Sie sind überall. Doch nicht alle geben sich zu erkennen. Nicht immer haben sie die Möglichkeit und noch seltener nutzen sie die Gelegenheit, sich zu öffnen. Manchmal sind sie kurz davor, endlich auszusprechen, was sie bedrückt und was sie wütend macht oder ratlos zurücklässt. Sie sind kurz davor, zu sagen, was los ist – und zögern dann doch diesen einen Moment zu lange. Und wieder ist eine Chance verpasst.
Doch es kommt der Tag, da sitzen sie im Raum »Elbe 1–3« in einem Hamburger Hotel auf einem von siebzig Stühlen, deren Polster das gleiche blau-graue Kreis- und Linienmuster haben wie der Teppich. Von der Decke strahlen Halogenspots, draußen taucht die Frühsommersonne den Park hinterm Hotel in warmes Licht. Sie haben sich Namensschilder an die Brust geheftet, einen Begrüßungskaffee getrunken und dem ein oder anderen Hallo gesagt. Und jetzt sitzen sie da und blicken nach vorn, wo Glückscoach Robert Betz mit Minimikro an der linken Wange die Anwesenden zum Tagesseminar »Mach dein Ding, Mann – und lebe deine Wahrheit!« begrüßt.
Eines ist klar: Alle hier machen ihr Ding. Und alle hier haben trotzdem Probleme. Oder gerade deswegen. Sie sind hier, weil sie hoffen, ein paar Antworten, vielleicht sogar ein bisschen Klarheit zu finden und etwas mit nach Hause nehmen zu können. Oder hier lassen zu können. Je nachdem, ob sie diese beunruhigende Leere in sich füllen oder ein bisschen was vom Ballast des Lebens abwerfen wollen. Thomas hat erkannt, dass er zwar seit dreißig Jahren rundum zufrieden, damit aber aus irgendeinem Grund nicht mehr wirklich froh ist. Josef hat dieses Seminar von seinen Kindern geschenkt bekommen, weil sie irgendwie gemerkt haben, dass er gern an sich und mit sich arbeiten würde, aber solche Dinge wohl auch meist vor sich herschiebt. Und Marc, mit Ende zwanzig einer der Jüngeren im Raum, fragt sich schon seit einer Weile, warum er sich in seiner Haut nicht mehr wohlfühlt, denn: Beruflich läuft es gut, die Kunden nerven zwar mitunter, aber das geht schon. Er fühlt sich schlecht, weil er ein schlechter Mensch ist. So jedenfalls sieht es seine Freundin.
»Hast du sie mal gefragt, warum?«, will Robert wissen.
»Nö«, sagt Marc.
»Interessante Partnerschaft«, sagt Robert.
Einige von uns lachen. Aber es ist kein Auslachgelächter. Es ist eher dieses »Du wirst es nicht glauben, aber so Sachen erlebe ich auch«-Lachen. Entgeistert. Und irgendwie erleichtert. Jenes Lachen, das sagt: »Verrückt, oder? Irgendwie ist alles okay, und dann doch wieder überhaupt nicht.«
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Robert Betz kennt das. Tausende von Männern hat er schon vor sich sitzen gehabt. Mit ähnlichen Ängsten und Nöten. Immer sind ein paar Wütende darunter, von diffusen Aggressionen geleitet, ausgelöst von den Autofahrern, die sich da jeden Morgen mit ihnen und an ihnen vorbei durch den Berufsverkehr quälen.
»Die Autofahrer«, da könnte Manfred ausflippen! Jeden Morgen!
Robert lächelt.
Ja, sagt er, so weit kann es mit uns Männern kommen. Dass wir uns über Menschen ärgern, die überhaupt nichts mit unserem Leben zu tun haben – abgesehen davon, dass sie sich eben aus der kleinen Seitenstraße vor uns in die Schlange gedrängelt haben.
Er kennt das. Die Wut, diesen Druck in der Brust und auch die Panikattacken in der Nacht. Die haben ihn vor gut 25 Jahren dazu gebracht, seinen Job im Management zu kündigen und
sich ganz dem Coaching zu widmen. Aber kein Tschakka-Coaching (jedenfalls nicht so dolle), er nennt es »Begleitung von Menschen durch Krisen und andere Phasen der Suche«.
Robert kennt auch die Zweifel und Brüche, die ein Menschenleben durchziehen. Und er ist der Typ, der sich auf eine Bühne stellt, vor der ein, zwei, fünf Dutzend oder auch zweihundert Menschen sitzen, und einfach loslegt. Mit seiner knuffigen Kumpelhaftigkeit ist es ihm ein Leichtes, das Vertrauen seiner Zuhörer zu gewinnen. Er wird auch mal drastisch, vor Zoten schreckt er nicht zurück, vor allem ist da aber dieses einnehmend Empathische, Sanfte, Verständnisvolle in seiner Art. Er ist wie der Vater, nach dem sich wohl viele von uns gesehnt haben.
Danke für deine Offenheit«, sagt Robert, wenn einer sich geöffnet hat. Und dieser Dank ist wie eine Umarmung. Tut gut.
Es ist erstaunlich. Hier sitzen Männer, die das Mikrofon geradezu an sich reißen, um erzählen zu können, warum sie hier sind. Keiner zuckt zurück, wenn Robert durch die Reihen geht und mal hier, mal dort fragt, was André, Andreas oder Hermann auf dem Herzen haben. Und sie erzählen. Kommen zum Punkt.Da wird nicht lange gefaselt, unnötig Raum eingenommen, Zeit gedehnt, wie man das von Männern in Meetings kennt. Hier im Raum »Elbe 1–3« wird gesprochen. Klar und ohne Umschweife. So, als wüssten sie, wenn ich jetzt nicht gleich zur Sache komme, gehe ich hier mit leeren Händen raus. Als spürten sie: Wenn sie jetzt nicht reden, wird es lange dauern, bis die nächste Gelegenheit dazu kommt.
Sicher, sie könnten sich für eines der einwöchigen Transformationsseminare anmelden, die Robert regelmäßig anbietet. Deutschlandweit und hin und wieder auch auf Lesbos, wo der 66-Jährige gut die Hälfte des Jahres lebt. Das macht er noch nicht so lange – zehn, fünfzehn Jahre vielleicht – aber er kann es inzwischen sehr entspannt so machen. Seine Transformations GmbH ist ein solides Unternehmen, für ihn arbeiten engagierte Assistenzcoaches sowie freundliche Mitarbeiterinnen in Verwaltung und Organisation. Er hat rund hundert CDs mit Vorträgen, Meditationen und Lesungen zu allen Lebensbereichen besprochen, farblich in Kategorien unterteilt und mit Titeln wie »Räume dein inneres Haus auf und finde deinen Weg« oder »Jetzt kommt der neue Mann!«.
Seine Bücher standen insgesamt mehr als 400 Wochen auf der Sachbuch-Bestsellerliste. Wer möchte, kann sich von ihm jeden Morgen eine kleine, lilafarben gerahmte Meditation für den Tag aufs Smartphone schicken lassen. Er ist ein Routinier. Und er polarisiert. Die Betz’sche Mixtur aus Spiritualität, Populärpsychologie und Lebenshilfe ist in ihrer Hemdsärmeligkeit zwar gewagt, aber nimmt man sie als Impuls, kann sie einiges auslösen, was in Kombination mit eingehender Reflexion durchaus zu so mancher Erkenntnis führen kann. Oder wenigstens ein wenig Linderung und mentale Entspannung mit sich bringt.
Drei Monate vor dem Seminar in Hamburg habe ich Robert Betz zum ersten Mal gegenübergesessen, in einem »ambitionierten Hotel in der Provinz«, wie er es nannte. Über den Mann und seine Probleme würde ich gern reden, hatte ich ihm in einer Mail geschrieben. Und da er ja schon mit so vielen Männern gearbeitet habe, könne er mir da doch sicher einiges erzählen. Die Antwort kam rasch und war verbindlich.
Und so saßen wir zwei Wochen später im Speisesaal des Hotels, hatten gerade Kaffee bekommen, als zur Vorbereitung des Büfetts das Kreischen irgendeiner Maschine anhob, das uns dazu zwang, in die Lobby zu wechseln. Eine Lobby mit dunklen, großformatigen Fliesen, die Sofas tief und quietschig. Vor uns ein kleiner, etwas zu hoher Tisch. Ambitioniert eben. Aber wir finden ins Gespräch. Auch oder vielleicht gerade, weil er zuhören kann. Und weil ich zuhören kann. Wir erzählen. Und hören zu. Es ist kein Interview. Eher ein Gespräch. Unter Männern.
Er hat das sicher schon tausendfach erlebt – und doch gibt er einem das Gefühl, der Erste zu sein, der sich ihm gegenüber so öffnet. Ich erzähle von meiner Suche nach meinem Weg, von meiner Kindheit, der Trennung der Eltern, dem Aufwachsen bei der Großmutter; von der Angst, die Fehler meiner Eltern zu wiederholen, als ich mit Anfang zwanzig erfahre, dass ich Vater werde. Wie ich mit Ende dreißig das Gefühl hatte, alles sei gut, in meinem Leben habe alles seinen Platz – Familie, Beruf, Berufung, Träume, Leidenschaften und ja, auch der Alltag. Um mir dann wenig später eingestehen zu müssen, dass ich mich selbst in diesem ganzen Rauschen irgendwie aus den Augen verloren hatte. Dass ich wohl alles hinter mir lassen müsste, um endlich dieses Gefühl des Getriebenseins loszuwerden.
Die ganzen Jahre hindurch hatte ich keine Zweifel, dass ich mein Leben und alle und alles, was dazugehörte, liebte. Aber irgendwo auf dem Weg hatte ich mich verloren und in all dem Machen und Kümmern war mein Herz die letzte offene Flanke gewesen.
Und so wurde damals aus dem Macher, der 16 Stunden am Tag den Laden am Laufen hielt und sowieso immer alles am liebsten selbst erledigte, innerhalb von drei, vier Wochen einer, der abends auf allen vieren die Treppe hochkroch und morgens nicht aus dem Bett kam. Mein eben noch so erfülltes Leben war plötzlich ein ausgebranntes Haus. Die Grundmauern standen noch, aber innen drin: nur ein Haufen Asche. Da ließ sich nichts mehr schönreden.
»Sag Hallo zur Midlife-Crisis!«, schrieb ich eines Abends in mein Notizbuch.
Und meine Mutter sagte damals: »Sieh’s mal so: Wenn du das jetzt richtig klärst, hast du ein paar gute Jahre gewonnen. Andere schieben das noch jahrelang vor sich her, und dann knallt es eben, wenn sie fünfzig sind.«
Robert sagt: »Kluge Frau, deine Mutter.«
Denn die Krise kommt. Irgendwann kriegt sie jeden. Und nicht jeder hat das Glück und die Chance, in dieser Zeit auf seine Frau, seine Familie, seine Freunde zählen zu können. Nicht jeder, der am Boden ist, kann sich an der Gewissheit aufrichten, dass sein Leben so verkehrt gar nicht ist, sondern dass er in den vergangenen Jahren einfach nur nicht gut genug auf sich aufgepasst hat, nicht ausreichend auf die Signale des Körpers, der Seele gehört hat. Und weil es sich inzwischen doch rumgesprochen hat, dass jeder Mensch und daher auch jeder Mann irgendwann an den Punkt kommt, an dem er sich fragt: »Soll’s das gewesen sein?«, so hat sich auch rumgesprochen, dass ein Mensch diese Zeit der Krise nicht allein auf sich gestellt durchstehen muss.
Aber, sagt Robert: »Der Mann hält durch. Und zwar so lange, bis er nicht mehr kann. Oder nicht mehr will.« Durchhalten ist, wie so vieles im Leben, eine dieser Eigenschaften, die gern als Stärke gesehen, aber bei übermäßigem Gebrauch zu einer Schwäche werden. Den Menschen schwach machen.
Robert Betz hat in den Jahrzehnten als Coach viele Männer gesehen, die durchgehalten haben, weil der Mann an sich nämlich schon von Kindesbeinen an verinnerlicht hat, dass er sich Liebe und Anerkennung »verdienen muss«. Und dass er keine Heulsuse sein soll und bitte schön auch nicht immer so ängstlich. Sei ein Mann! Reiß dich zusammen! Die Klassiker, die bis heute nachhallen.
Und da wir gerade davon sprechen: Wer hat sich eigentlich den Quatsch vom Indianer, der keinen Schmerz kennt, ausgedacht?
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