Was ist ein NWTA Teil 2

Guido von Fragstein bereichtet über seine persönlichen Erfahrungen mit dem Initiations-Wochenende von Mankind Project Deutschland

Foto: Pixabay | StockSnap

Hier kannst du Teil 1 lesen ->

Zwischen dem Moment, in dem ich den „Anmelden“ Knopf auf der Webseite von MKP geklickt hatte

und dem tatsächlichen Beginn des Trainings vergingen noch fast drei Monate. Ich weiß nicht genau, wie ich die Zeit bis dahin rumgekriegt hatte. Ich versuchte, mit aller Kraft, P. zu vergessen.

Ich schrieb eine Menge Blogposts, die ich nie veröffentlicht habe, obwohl einige ganz gut waren, aber sie waren alle entweder voller Hass auf die Frauen generell, voller Hass auf mich im Besonderen, voller Hass auf das, was zwischen Männern und Frauen abläuft im allgemeinen oder voller Hass auf P. im Besonderen oder voller Hass im Allgemeinen auf einfach alles und jeden.

Die meisten Texte löschte ich irgendwann. Nur zwei habe ich behalten, weil sie nicht völlig humorlos sind und sich ein bisschen Selbstironie bewahrt haben. Nebenbei ging ich natürlich auch noch zur Arbeit und versuchte, mein normales Beziehungsleben aufrecht zu erhalten so gut es ging. Zugleich fing aber auch in meinem Hinterkopf etwas zu arbeiten an. Ich merkte, dass mir das Training Angst machte.

Dass ich ein mulmiges Gefühl hatte, dieses Wochenende mit vielen Männern zu verbringen. Ich habe es vielleicht noch nicht explizit gesagt, aber ich fühlte mich eigentlich niemals wirklich wohl unter Männern. Ein Grund dafür war sicher der, dass es in meiner Familie keine geistig gesunden Männer gab. Mein Vater ist praktisch auf der Flucht aufgewachsen, in der Nachkriegszeit. Eine Jugend ohne jeden Schutz und ohne Obdach.

Zugleich war er das älteste von vier Geschwistern und musste seiner Mutter helfen, die anderen Kinder zu beschützen. Mein Vater hat sich von diesen Strapazen niemals wirklich erholt, er war, seit ich denken kann, ein gebrochener Mann, oder vielmehr: Er hatte eigentlich nie eine Chance gehabt, ein Mann zu werden.

Er war eher sowas wie ein Gehilfe seiner Mutter. Mein Großvater war nach Kriegsende noch vier Jahre in russischer Gefangenschaft, bevor er nach Hause durfte und nach dieser Erfahrung war er psychisch noch derangierter als mein Vater. Letztlich habe ich alles, meine ganze Erziehung, von meiner Mutter und meiner Großmutter, also von Frauen, erhalten.

Außerdem war ich als Kind auch nicht ganz normal. In meinen alten Schulzeugnissen steht, ich hätte mich nie wie ein Kind ausgedrückt und mich auch nie wie ein Kind verhalten. Das kann ich bestätigen. Wahrscheinlich hatten mein Bruder und ich eine milde Form des Asperger-Syndroms, das sich mit den Jahren verwachsen hat, aber das ist reine Spekulation.

Jedenfalls hatte ich als Kind keinen guten Stand bei den anderen Jungs in meiner Schule. Ich wurde viel gehänselt, heute würde man sagen, gemobbt. Ich fasste also relativ früh den Entschluss, kein Mann zu sein. Ich sprach der Männerwelt so etwas wie eine innerliche Kündigung aus, ohne dass ich das damals so genannt hätte. Nach außen hin versuchte ich, mich anzupassen so gut es ging, aber für mich selbst war klar, dass ich kein Mann war, dass ich auch gar keiner sein wollte. Ich verband mit der Männerrolle keine positiven Assoziationen.

Meine besten Freunde, das hat sich einfach so ergeben, waren Männer wie ich,

also Antimänner, die ihre Rolle ablehnten oder sogar bewusst konterkarierten oder Frauen, mit denen ich intensive platonische Freundschaften pflegte. Normale Männer hatte ich gelernt großflächig zu meiden. Und jetzt würde ich ein Wochenende am Arsch der Welt, in Oberfranken, um genau zu sein, mit vielen ausgewachsenen Exemplaren von grunzenden Urviechern verbringen. Was wollte ich da bloß? Ich weiß nicht, ob ich wirklich hingefahren wäre, wenn ich nicht in der Zwischenzeit immer wieder zur iGroup gegangen wäre. Die ganzen Bedenken, die ich dort einbrachte, wurden mit Ernst und Teilnahme aufgenommen und viele der Männer, die das Training schon hinter sich hatten, konnten sich gut erinnern, das sie ganz genau die gleichen Ängste hatten, als sie zu ihrem Training gefahren sind. Verrückt, dass ich immer denke, ich wäre der erste und einzige mit meinen Sorgen!

Am Freitag den 13. November 2014 war es dann soweit. Ich fuhr mit meiner Mitfahrgelegenheit nach Oberfranken, zum Seminarhaus Bettenburg. Was dort geschah, hat mein Verhältnis zu mir selbst nachhaltig gewandelt. Ich schäme mich nicht mehr für mich selbst. Ich schäme mich nicht mehr, als Mann auf die Welt gekommen zu sein. Ich fühle die Wahrheit dieser Worte. Als ich diese Sätze in die Tastatur gehämmert habe, konnte ich in meinem Herzen die Resonanz spüren, ein warmes, tröstliches Gefühl endlich irgendwo angekommen zu sein. Sicher wollt ihr wissen, was jetzt genau bei diesem Training passiert. Aber das kann ich euch nicht sagen.

Aus verschiedenen Gründen. Erstens, weil ich es versprochen habe. Aber das ist nicht der eigentliche Grund. Ich bin ein Mensch, der Verbote gerne umgeht, wenn er sie überflüssig findet, und der in der Lage ist, Versprechen einseitig für ungültig zu erklären, wenn sie unter Zwang gegeben wurden. Aber hier liegt der Fall anders. Ich habe das Versprechen gegeben, weil ich den Sinn dahinter verstehe.

Es ist nicht einfach irgendein NDA, seht es eher so, als ob ihr euch seit Wochen auf einen neuen Film freut, einen mit einem ziemlich coolen, verwickelten Plot und dann trefft ihr eueren nervigen Nachbarn, der den Film als Raubkopie im Internet gesehen hat, und euch die alles entscheidende Schlussszene verrät. Stellt euch vor, jemand hätte euch das Ende von „Fight Club“ verraten, bevor ihr ihn im Kino gesehen habt.

Vielleicht bist Du ein Mann und willst irgendwann in Deinem Leben das Training machen. Dieses Training ist eine Initiation. Ein Ablauf, der Dich in eine neue Lebensphase bringt, so wie es in Naturvölkern immer noch gemacht wird und wie es in Griechenland und Rom bis zur Christianisierung üblich war. In allen diesen Kulturen waren die Riten geheim, nicht aus bösem Willen, sondern weil die Erfahrung für jeden Initianden etwas Einzigartiges sein soll.

Eine Erfahrung, die Ihm gehört! Nur ihm und niemanden sonst. Das ist der Grund für die Geheimhaltung. Du kannst auf den Eiffelturm, sogar mit Fahrstuhl. Aber warum? Tausend andere waren vor Dir dort. Die Erfahrung auf dem Training sollte Deine eigene sein, nicht etwas, das Dir von anderen vorgekaut wird, von Leuten, die schon vor Dir dort waren. Das ist der Grund. Es ist Deine Eintrittskarte. Nicht die Deines Nachbarn.

Und nachdem ich das getippt habe, müsste ich dann ja wohl an dieser Stelle meinen Bericht beenden

und hier aufhören. Aber wenn ich schon nicht den Ablauf verraten kann, so kann ich doch zumindest noch etwas mehr darüber sagen, was das Training mit einem Mann macht, was es mit mir gemacht hat.

Dafür muss ich aber etwas mehr darüber sagen, wie sich Männer generell fühlen. Männer wissen das ja, aber hier lesen ja vielleicht auch Frauen mit. Also Männer sind die meiste Zeit isoliert. Sie haben wenige bis gar keine Möglichkeiten über ihre Gefühle zu sprechen oder sie zu zeigen.

Das hat nichts, absolut gar nichts mit irgendeiner genetischen Prädisposition zu tun, ich weiß, viele Frauen glauben das, aber es stimmt einfach nicht. Männer, die über etwas Reflexionsvermögen verfügen, spüren diese Isolation und leiden darunter.

Eigentlich leiden alle Männer darunter. Hat sich mal jemand gefragt, weshalb Alkoholmissbrauch unter Männern so verbreitet ist? Weshalb so viele von uns arbeitssüchtig oder beziehungsgestört sind? Der Grund weshalb Männer so große Schwierigkeiten mit Gefühlen haben, ist einfach der, dass sie uns in früher Kindheit aberzogen werden. Nicht alle Gefühle, aber viele. Diejenigen nämlich, die in unserer Gesellschaft als weiblich gelten.

Während des Trainings werden alle teilnehmenden Männer mehr oder weniger unsanft in Kontakt mit ihren Gefühlen gebracht. Mit typisch männlichen, wie Angst oder Wut aber später auch Trauer und Scham. Und schließlich mit Freude und Befreiung.

In der zweiten Hälfte des Trainings kam es immer häufiger vor, dass Männer weinten vor Trauer oder schrien vor Wut. Unsere emotionale Panzerung verlor ihren Sinn und wurde immer durchlässiger. Ich selbst saß nach einem sehr intensiven und aufwühlenden Erlebnis in einem Sessel und trank ein Glas Orangensaft.

Ich weiß nicht mehr was ich sagte, aber ich fing einfach an zu weinen und mein Begleiter, ein Stabsmann, kein Initiand weinte mit mir, während wir uns in die Augen sahen. Es ist schwer, das an Irgendetwas festzumachen, aber wir weinten nicht wie Frauen, wir weinten wie Männer.

Es ist eine andere Art mit Trauer umzugehen, als die, die man bei Frauen sieht. So gesehen, ist es Schwachsinn zu behaupten, man würde in Männergruppen lernen, seine weibliche Seite wiederzufinden. Nein, man lernt, sich als Mann einfach seine ganz normalen Gefühle wieder anzueignen. Gefühle, die man sein ganzes Leben lang gelernt hat zu verleugnen.

Frauen haben kein Monopol auf Trauer und Hingabe und Liebe und Zartheit. Das sind Gefühle, zu denen jeder Mensch fähig ist, jeder auf seine Weise. Frauen auf ihre Weise, wir auf unsere. Ich habe davon vorher nichts gewusst oder geahnt. Ich dachte, als Mann wäre diese Ausdruckshemmung, diese giftige Scham für das eigene innerste Wesen irgendwie normal oder angeboren.

Ich durfte das Geschenk erleben, dass dieser Schleier einmal für mich gehoben wurde. Ich hatte einmal die Möglichkeit mich selbst mit 39 anderen Männern ohne Maske, ohne Scheuklappen aus Konkurrenzdenken und Angst vor sich selbst zu begegnen. Ich habe ein paar Stunden lang gesehen, dass Männer schöne Wesen sind, die lebendige Seelen haben.

Es ist schwer, noch mehr zu sagen.

Vielleicht habe ich es geschafft einen Eindruck zu vermitteln vielleicht noch nicht. Über das Thema der Isolation unter Männern ist, glaube ich, schon einiges geschrieben worden. Viele Frauen, emanzipierte Frauen, glauben, dieser hirnlose Krieg um Geschlechterrollen, wäre ein Krieg von Männern gegen Frauen. Aber das stimmt nicht. Oder besser, es stimmt nur zum Teil. Dieser Krieg war immer auch ein Krieg von Männern gegen Männer.

Der Versuch eine Hierarchie zu bauen, in denen die männlichsten Männer ganz oben stehen, wobei mit männlich hier gemeint ist: einem bestimmten Bild zu entsprechen. Ein Bild, das von den Herrschenden gemacht ist. Ein Bild, dem man von klein auf gelernt hat, nachzueifern, ohne jede Rücksicht auf das eigene Wesen, ohne jede Rücksicht auf die Gefühle anderer. Kein Mann kann diesen Kampf für sich gewinnen.

Der erste Preis besteht darin, der perfekte Zombie zu sein. Eine Maske, hinter der gar nichts mehr lebt. Der einzige Weg ist es aufzugeben, den Wettbewerb für sich zu beenden. Ich weiß jetzt, seit ein paar Wochen, dass das geht.

(Wie gesagt, das ist jetzt 5 Jahre her. Ich habe die ganze Passage so gelassen, weil sie viel von meinem damaligen Lebensgefühl spiegelt). Was danach kommt, ist eigentlich der schwierige Teil. Als realer Mann zu leben. Außerhalb von irgendwelchen Ideen wie man zu sein hat.

PS: Diese paar Seiten haben für sich selbst eine gewisse Geschichte,

ich habe sie zunächst nachts als zwei Beiträge in einen Tumblr Blog gehackt, dann hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich etwas viel zu intimes in Welt hinausposaune, also verschob ich es in einen privaten, unsichtbaren Blog.

Dann habe ich die beiden Artikel für Tom Süssmann vom Männerportal unter einem Passwort freigegeben, sie dann komplett vergessen … Jetzt habe ich einen einzigen zusammenhängenden Artikel daraus gemacht. Dabei habe ich den ersten Teil etwas gekürzt und in den Zweiten eingeschoben. Der Hauptgrund dafür war, dass der erste Teil in einer Art hochassoziativen, automatischem Schreibverfahren entstanden ist, das war damals einfach so meine Art.

Der zweite Teil war von Anfang an mehr auf den Punkt und geradliniger. Das Nacheditieren beider Texte war für mich eine Reise in die Vergangenheit. Witzigerweise habe ich vor zwei Monaten, nach einer langen, langen Pause wieder angefangen, regelmäßig in die iGroups zu gehen.

Kurz darauf hat sich Tom Süssmann vom MännerPortal.Net unverhofft bei mir gemeldet und hat und mich auf die beiden Texte angesprochen hat. Es gibt einfach keine Zufälle. In den letzten Jahren hat sich das Neue an der Männerarbeit sicher abgeschliffen (wäre auch zu schön gewesen, wenn nicht), aber hinter ganz vielen Standpunkten, aus dem Text von damals, stehe ich immer noch voll und ganz.

Hier kannst du Teil 1 lesen ->

Über Guido von Fragstein 2 Artikel
Guido von Fragstein ist Softwareentwickler, Goldschmied, Zen Buddhist, Hobbyphilosoph (mit Schwerpunkt Poststrukturalismus, falls das irgendwen interessiert) und noch einige andere Dinge mehr, mit denen man so ohne weiteres nicht rechnen würde.

Der Sinn seines Lebens besteht scheinbar darin, dem Sinn seines Lebens auf die Spur zu kommen, und meistens ist er dieser Aufgabe auch gewachsen. Er lebt zu zweit in Lübeck, der Königin der Hanse. Hier ist er auch aufgewachsen und will da, bei allem Gejammer, in Wirklichkeit auch gar nicht weg.

Wenn er meint, es könnte jemanden interessieren, schreibt er auch mal einen Text. Auf Facebook, für seine Freunde oder einfach so.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*