Will ich tatsächlich auch noch meinen Senf dazu geben? Auf den Zug, über den gerade jeder schreibt und schreit, aufspringen…? Mich an das Thema hängen und mich über die vielen nackten Frauen in der Kunst aufregen (und die vielen bekleideten Männer, die sie geschaffen haben)? Nein, ich glaube nicht… (was nicht heißt, dass ich die Debatte nicht absolut notwendig finde!). Ich will hier mal etwas anderes versuchen, vielleicht so etwas wie einen Ausgleich. LeserInnen dieses Blogs, nehmt es mir bitte nicht übel, aber ich will an dieser Stelle mal etwas über Männerbilder in der Kunst schreiben. Mir ist da nämlich etwas aufgefallen…
Wie Mann sich bettet so stirbt Mann
Nach meinem letzten Umzug hatte ich die Idee, mein Schlafzimmer mit einer Collage von liegenden/schlafenden Frauen und Männern zu verschönern. Mir schwebte vor, jeder Frau einen Mann in einer ähnlichen Position – praktisch als Spiegelbild – gegenüberzustellen, äh, zu -legen. Diese Vorstellung musste ich sehr bald aufgeben. Denn: es war (ist) geradezu unmöglich, liegende Männer in der Kunst zu finden! Die einzigen, die ich vorfand, wurden entweder gerade umgebracht (Holofernes) oder ihrer Unbesiegbarkeit beraubt (Samson), waren sehr alt (Isaak) oder tödlich verletzt (Epaminondas). Wer will sowas schon in seinem Schlafzimmer haben…?
Ich verstand: Männer liegen gefährlich! Während es bei Frauen zu gutem Ton und Tradition gehört, sich auf Canapees zu räkeln, kunstvoll in Ohnmacht zu fallen, sich in die Horizontale verführen zu lassen oder einfach zu schlafen, hat der liegende Mann in der Kunst verloren. Männer halten sich hier aufrecht und sind in Aktion. Sie sind Macher, Kämpfer, Denker, Herrscher. Sie ruhen sich nicht aus, sie sind niemals schwach, scheinbar benötigen sie keinen Schlaf, und wenn sie in diesen fallen, werden sie von Albträumen heimgesucht (Goya).
Männermythen
Wenn wir über das Frauenbild in der Kunst sprechen, das (ich habe es nicht nachgezählt, aber gefühlt ist es so), zu 90% aus Nackten und zu 9,999% aus Kinder Erziehenden, Haushalt Machenden, Dienenden und hübsch Zurechtgemachten besteht, so sehen wir, dass die Kunst auch hier ein Spiegel der Zeiten ist – und sich die Geschlechterrollen in ihr entsprechend manifestiert haben.
Doch sind Männer, weil sie sozusagen als Aktive und Macher, Helden und Mächtige auftauchen, soviel besser dran? In der Sendereihe „Philosophie“ auf Arte brachte es die Philosophin Olivia Gazalé im Gespräch mit Raphaël Enthoven auf den Punkt:
“Dass der Männlichkeitsmythos zur Unterdrückung der Frau geführt hat, ist klar. Weniger bekannt, bzw. sogar ein Tabu ist die Tatsache, dass dieser Mythos auch zur Unterdrückung des Mannes durch den Mann selbst geführt hat. D.h., wer die männlichen Codices nicht bedient, gilt nicht als echter Mann.“
Die Kunst – so sehr ich sie liebe – hat diese Codices und Stereotype von Männern mitgetragen, gestärkt, tradiert, propagiert. Jetzt kann man sagen, das seien ja nur alte Bilder, die heute niemand mehr bewusst vor Augen habe. Umso schlimmer – denn wir haben sie unbewusst in uns, in unserem kollektiven Bildgedächtnis. Dieses lässt uns wissen, – ohne, dass wir es bewusst gelernt haben – dass eine Frau im Gewand mit Kind auf dem Arm Maria heißt, ein nacktes Paar sehr wahrscheinlich Adam und Eva sind und ein Typ mit Flügeln vermutlich ein Engel ist. Und weil diese Bilder unterschwellig in uns sind, glaube ich, dass es umso wichtiger ist, sie ins Bewusstsein zu heben. Zum Wohle von Frauen und Männern. Denn das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist von beiden Standpunkten aus auch in der Kunst nicht das beste…
Schwachstelle Frau
Schaut man sich die biblischen und mythologischen Geschichten an, in der Männer und Frauen aufeinandertreffen (und die Bilder, die daraus entstanden sind), ist die größte Gefahr, die von der Frau für den Mann ausgeht, sein Vertrauen in sie. Samson vertraut Delilah – immerhin eine Frau aus dem Volk seiner Feinde – so sehr, dass er ihr das Geheimnis seiner Unversehrbarkeit anvertraut. Und prompt von ihr verraten wird. Adam lebt im Moment, in dem Eva ihm den Apfel reicht, noch in einer platonischen Beziehung mit ihr. Erst mit dem „Sündenfall“ erkennen sie sich als nackt, also als sexuelle Wesen. Dass Adam die verbotene Frucht von Eva annimmt, beruht deshalb vielleicht gar nicht auf ihren Verführungskünsten (denen ein Mann – auch so ein Klischee – ja partout nicht wiederstehen kann), sondern, wie bei ihr, auf seiner Neugier. Und seinem Vertrauen in Eva.
Holofernes liebt Judith nicht, ist aber von ihrer Schönheit eingelullt (logo, weil Männer ja per se ihren Verstand verlieren, wenn sie eine begehrenswerte Frau sehen…, siehe Adam), sodass er sich von ihr mit Wein abfüllen lässt. Doch Judith ist nicht nur schön, sondern auch klug, und vielleicht ist der Feldherr Holofernes froh, nach Jahren des Kämpfens und des Stark- und Anführerseins auch mal wieder jemanden zu haben, mit dem er als Mensch reden kann. Vielleicht ist er mit ihr nicht nur wein-, sondern auch red- und vertrauensselig geworden – was aber dazu führte, dass Judith ihm den Kopf abschlug.
Was würde ich als Mann daraus lernen: Traue keiner Frau, schon gar nicht einer, die Dich emotional berührt! Männer können sich nicht leisten zu vertrauen, denn wer vertraut, ist schon so gut wie tot. Wer vertraut, ist angreifbar, hat einen schwachen Punkt, Vertrauen und Schwäche werden eins. Aber gibt es denn etwas Schöneres, als eine Schwäche für jemanden zu haben? Wenn wir uns vorstellen, dass der unantastbare Simson durch seine Liebe zu Delilah vielleicht auch im übertragenen Sinne berührbar wird? Und das Adam sich bewusst auf die Seite seiner Partnerin und gegen den sie beherrschenden und kontrollierenden Übergottvater stellt? Wo sind die tradierten Geschichten und Bilder, in denen sich die Geschlechter (auch gleicher Art) auf Augenhöhe begegnen, wo gegenseitiges Vertrauen stärkt statt schwächt?
Verletzlichkeit als Stärke
Als gutes Beispiel gegen das typische Männerbild fällt mir David ein, der Goliath besiegt. Interessanterweise enthält die Figur des Goliath alles, was einen „echten Kerl“ ausmacht: Er ist groß, stark wie ein Bär, hochgerüstet bis zum Haaransatz, unbesiegbar. David, als Knabe noch kein „richtiger“ Mann (also noch ganz frei von Codices), besiegt ihn dennoch – nicht, weil er das Spiel mitspielt und sich ebenfalls in diese Männlichkeitshülle anzieht. Sondern weil er in seiner einfachen Kleidung viel freier und agiler handeln kann. Seine vermeintliche Schwäche ist seine größte Stärke.
Genug gesprochen. Ich bin keine Theologin, keine Genderforscherin und keine Soziologin. Es gäbe noch viel zu ergänzen zu dem Thema „Männerbilder in der Kunst“, und wahrscheinlich bin ich in meinen Ausführungen zu plakativ und oberflächlich. Aber ich musste das mal loswerden. Nun bin ich gespannt, ob und welche Gedanken Ihr zu dem Thema habt.
BILDINFORMATIONEN
Caravaggio: Judith enthauptet Holofernes, circa 1598-1599, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Rom | Luca Giordano (Nachfolger): Samson and Delilah, o.D., Mauritshuis, Den Haag | Luca Giordano: Isaak segnet Jakob, vor 1654, Graf Harrach’sche Familiensammlung, Gemäldegalerie | Isaac Walraven: Epaminondas` Sterben, 1726, Rijksmuseum, Amsterdam | Francisco de Goya y Lucientes: Los Caprichos, Der Schlaf der Vernunft produziert Monster (Detail), 1799, Metropolitan Museum of Art, New York | Jan Bondol: David tötet Goliath mit einer Steinschleuder, 1372, Niederländische Nationalbibliothek
Dieser Artikel wurde auch auf dem Blog von Esther Klippel veröffentlicht:
http://gestatten-kunst.de/gestatten-mentoo/
BRAVO, super wie immer. Danke Esther Klippel!
Esther Klippel, thank you for this post. Its very inspiring.